In der Sondersitzung des Deutschen Bundestages heute habe ich mich nach Prüfung der Unterlagen und Teilnahme an der Sitzung des Haushaltsausschusses gestern sowie an weiteren Gremiensitzungen dazu entschieden, dem Antrag der Bundesregierung zuzustimmen.
Mir ist völlig klar, dass es hier keine unumstrittene Entscheidung geben kann. Sie werden mich als jemanden kennen gelernt haben, der keine Angst hat, für die eigene Überzeugung auch gegen die Mehrheit abzustimmen. Dieses Mal habe ich wieder sorgfältig geprüft, und dieses Mal halte ich das erreichte Ergebnis für verantwortbar und zustimmungsfähig.
Meine Gründe für diese Entscheidung, die sich nicht nur auf Zahlen, sondern auch auf die politischen Folgen beziehen, finden Sie unten angefügt und auch im Dokument anbei.
Wir sind ein wichtiger, aber nicht der einzige Teil in Europa, und was wir erreicht haben in den Verhandlungen mit den Partnern, galt noch vor vier Wochen als völlig undenkbar. Die Krise Griechenlands wird in Griechenland gelöst, mit Hilfe der europäischen Partner, und nicht gegen sie; dazu hat Griechenland historische Zugeständnisse gemacht, die einen völligen Kurswechsel bedeuten.
Die Güterabwägung vor dem Hintergrund der neuen Qualität dieser Vereinbarung und auch der politischen Entwicklung in Europa - und um uns herum - hat mich im Ergebnis davon überzeugt, dieser qualitativ neuen Vereinbarung eine faire Chance zu geben.
Mit allen guten Wünschen
Ihr/Euer
Michael Brand
+++
Persönliche Erklärung MdB Michael Brand zur Griechenland-Abstimmung,
Deutscher Bundestag, 19.08.2015, 118. Sitzung
Seit dem Beginn der Griechenland-Hilfe hat sich vieles verändert, manches zum Besseren, anderes hat sich verschlechtert. Vieles in den Annahmen zum ersten und zweiten Hilfspaket hat sich bei Überprüfung als nicht richtig erwiesen. Auch dies muss der Offenheit wegen festgestellt werden.
In der Bilanz ist festzuhalten: Nachdem die griechische Regierung unter dem linken Ministerpräsidenten Tsipras zunächst versucht hat, die Erfolge der Vorgängerregierung durch unverantwortliche Ausgaben im Staatshaushalt und Rücknahme der in ihren ersten Schritten sogar erfolgreichen Konsolidierung zunichte zu machen, musste Tsipras eine Kehrtwende um 180 Grad vornehmen.
Zum ersten Mal seit langer Zeit sind einzigartige Strukturreformen von Griechenland akzeptiert worden, die dem Nationalstaat von der internationalen Gemeinschaft zur Bedingung für weitere Hilfen gemacht wurden.
Viele dieser Maßnahmen sind bereits vom griechischen Parlament verabschiedet worden und werden nun in Kraft gesetzt.
Diese Strukturreformen sind zwingend erforderlich, um Griechenland über eine lange Frist wieder zurück in den Kreis nicht völlig verschuldeter Staaten zu führen. Ohne die harte Haltung insbesondere des deutschen Finanzministers Schäuble und auch dem Druck aus dem Deutschen Bundestag wäre dies auf europäischer Ebene nicht erreicht worden.
Allerdings gilt auch hier: Deutschland steht hier nicht gegen Griechenland, und Deutschland wird sich in Europa auch nicht isolieren. Es ist das nationale Interesse unseres Landes, dass Europa stark ist, weil dies zum Wohle der Menschen in unserem Lande in politischer, wirtschaftlicher und auch kultureller Hinsicht stark beiträgt.
Es ist auch in unserem nationalen Interesse, dass wir uns nicht mit wichtigen europäischen Partnern bei der Lösung eines schweren europäischen Problems überwerfen. Deutschland kann seine Position einbringen, zäh und hart für sie kämpfen, wird aber am Ende sich einem europäischen Kompromiss nicht verwehren können, wenn wir als stärkstes Land in Europa nicht die Axt an die europäische Einheit anlegen wollen. Und in einer immer stärker globalisierten Welt werden wir dieses einige Europa in den kommenden Jahrzehnten noch sehr häufig dringend brauchen.
Das qualitativ neue Griechenlandpaket wird wiederum mit auch deutschen Steuergeldern abgesichert. Dies offen anzusprechen, gehört zu Ehrlichkeit dazu, es führt kein Weg daran vorbei. Zur Ehrlichkeit gehört auch, darauf hinzuweisen, dass es jenseits des Griechenlandproblems auch zur europäischen Wahrheit gehört, dass die Kompromisse auf der europäischen Ebene schon in der Vergangenheit meistens auch Geld gekostet haben.
Zum ersten Mal allerdings ist bei der letzten Einigung zu Griechenland ein Maß an strukturellen Anforderungen an einen Nationalstaat zur Änderung seines Staates gestellt worden, wie dies noch vor wenigen Wochen völlig unvorstellbar gewesen wäre.
Diese von uns in Europa und unseren griechischen EU-Partnern lange geforderten strukturellen Änderungen im griechischen Staatswesen sind die Grundvoraussetzung dafür, dass Griechenland in einer stärker von Wettbewerb geprägten Welt seine verdiente Chance erhält. Das bezieht sich auf Finanzverwaltung, Kampf gegen Korruption und Steuerprivilegien, Reform eines völlig verrückten Frühverrentungssystems, Einführung einer soliden und vor allem finanzierbaren sozialen Grundsicherung, einer effizienten Verwaltung und vieles andere mehr.
Die aktuelle Hilfe in Höhe von insgesamt bis zu 86 Milliarden Euro, von denen mehr als die Hälfte an europäische Gläubiger zurückfließt, die Frage der sogenannten Schuldentragfähigkeit, die erwartete Beteiligung des IWF - über den der IWF entsprechend seiner internen Regeln erst im Oktober entscheidet - sind wichtig, und die Umsetzung wird erstmals penibel und zeitnah überprüft.
Es gilt, dass es Geld nur gibt gegen Gegenleistung. Die Gegenleistung sind strukturellere Reformen, und es geht um nichts weniger als um die grundlegende Modernisierung eines Staates, der bislang europäischen Standards noch nicht genügt und daher erhebliche Probleme in der Wirtschaft, im Staatswesen und im Ergebnis für die gesamte Bevölkerung hat.
Niemand in Deutschland oder darüber hinaus, der politisch bei Verstand ist, will Griechenland aus der Europäischen Union hinauswerfen. Dazu ist die strategische Lage der Europäischen Union in dieser Region, auch in unmittelbarer Nachbarschaft zur Türkei und im Wettbewerb um Einfluss, zum Beispiel durch Russland, zu ernst.
Ob Griechenland entscheidet, den Weg der steinigen Reformen innerhalb der Euro-Zone zu gehen oder zu einem bestimmten Zeitpunkt lieber außerhalb der Euro-Zone, aber innerhalb der Europäischen Union gehen will, kann im August 2015 niemand beantworten.
Was aber im August 2015 beantwortet werden kann, ist die Frage auf eine Risikoabwägung: Ist es riskanter, den erreichten Kompromiss auf der europäischen Ebene platzen zu lassen, als wichtigstes Land der Europäischen Union, oder den vor allem auch durch Finanzminister Schäuble erreichten Kompromiss mit einer umstrittenen Regierung - die miserabel begonnen hat, viel Vertrauen zerstört hatte und dennoch am Ende in den letzten Wochen die europäischen Konditionen akzeptiert hat und konstruktiv am Ergebnis mitgewirkt hat - mit der notwendigen Vorsicht und der nun eingebauten Kontrolle mit zu tragen?
Meine Antwort ist, aus der deutschen wie aus der europäischen Sicht: Dieser neuen Qualität an europäischer Vereinbarung muss man den Mut haben zuzustimmen.
Es wäre nicht zu verantworten, diese historische Chance auf einen Neuanfang nicht zu nutzen.
Das tue ich auch gegen erwartete, teils massive Kritik von denjenigen, die einfach nur die mathematische Aufrechnung machen, ohne die politischen und später auch wirtschaftlichen Folgekosten für Europa und unser Land mit zu bedenken.
Europa ist für Deutschland oft kompliziert, komplex, ärgerlich – aber es ist für das Wohl unseres Landes völlig unverzichtbar.
Die aktuellen Herausforderungen, von Flüchtlingszustrom, Bedrohung durch IS-Terrorismus bis zu anderen Fragen machen jeden Tag deutlich: Europa muss zusammenhalten, und es kann die immensen Herausforderungen nur gemeinsamen bestehen. Dazu gibt es in der Tat keine gute Alternative.
Unser Wohlstand, unsere Sicherheit, und letztlich auch die Stabilität und der Frieden unseres Landes, auch für unsere Kinder und für uns, liegen in diesem Europa. Damit zu spielen, ist nicht meine Art.
Wir werden noch länger mit Problemen zu tun haben, die größer sind als die Krise Griechenlands, in der Europa viel Steuergeld und politisch viel Lehrgeld bezahlt hat, und dabei in einer weiteren großen Krise auch neue Erkenntnisse und eine neue politische Qualität gewonnen hat, die uns bei anderen Projekten und Schwierigkeiten zunutze kommen wird.
(Foto: Deutscher Bundestag)
Empfehlen Sie uns!