Was uns zusammenhält - Über Regeln und Respekt

10.05.2017

Der Namensbeitrag ist am 10. Mai 2017 in der Fuldaer Zeitung erschienen. Michael Brand fordert klare Kante gegen jedwede Art von Extremismus. Der Autor (43) ist direkt gewählter Bundestagsabgeordneter im Wahlkreis Fulda.

Mit seinen zehn Thesen für eine deutsche Leitkultur hat Innenminister de Maizière teils heftige Reaktionen hervorgerufen. Von den einen gar als „gesellschaftsschädlich“ kritisiert, bezeichnen andere den Inhalt als das kleine Einmaleins für das Zusammenleben in unserem liberalen Rechtsstaat.

Man kann trefflich über Begriffe diskutieren. Schlagworte, ohne sie konkret zu füllen, sind ebenso hohl wie reflexhafte Parolen, um notwendige Debatten zu ersticken. Egal wie man es nennt. Im Kern geht es um die Frage, was uns zusammenhält.

Unzweifelhaft gibt es Dinge, die uns in Deutschland über Sprache und Verfassung hinaus verbinden. Selbst diejenigen, die den Begriff für falsch halten, werden das kaum bestreiten. Es geht um einen gesellschaftlichen Grundkonsens, Werte und Regeln. Und es geht nicht allein um Zugewanderte und Flüchtlinge, sondern um das generelle Miteinander.

Schon länger ist etwas ins Rutschen gekommen, zunehmende Rücksichtslosigkeit, Verrohung der Sprache und Hetze, steigende Aggressivität und Übergriffe gegen unsere Polizei. Neue Phänomene wie Zwangsverheiratungen, Kinderehen oder Hassprediger sind hinzukommen.

Die Radikalisierung in Teilen der Gesellschaft bedroht unsere Grundwerte. Blinder Fanatismus kommt nicht alleine von außen. In regelmäßigen Gesprächen berichten mir Bundespolizisten in Hünfeld eindrücklich über ihren täglichen Kampf gegen unterschiedliche Fanatiker.

Unser Land, unsere Werte werden bedroht. Stellung beziehen, nicht wegducken, das ist wichtig, egal woher die Angriffe gegen unsere freiheitlichen Werte kommen: Dazu gehören Menschen, die den Untergang des Abendlandes beschreien, auf aggressive Ausgrenzung setzen. Dazu gehören zu viele Erdogan-Anhänger in Deutschland, die alle Freiheiten genießen und von hier aus helfen die Demokratie in der Türkei abzuschaffen. Da gibt es Menschen, die zu uns gekommen sind und jetzt hier gegen Christen, Jeziden oder Juden hetzen, sie einschüchtern. Dass Konflikte aus anderen Ländern zu uns getragen werden, darf nicht akzeptiert werden.

Das Gesetz steht über der Religion, das gilt ausnahmslos für alle. Es wirft Fragen auf, wenn Islam-Kritiker wie Abdel-Samad bei Auftritten wie kürzlich im Fuldaer Bonifatiushaus wegen Mordaufrufen massiv und dauerhaft geschützt werden müssen.
Fassungslos macht mich auch das Verhalten gegenüber einem 17jährigen Flüchtling aus Afghanistan, den ich kenne. Seit seiner Flucht vor zwei Jahren hat er nichts mehr von seinen Eltern gehört. Er geht in Fulda zu Schule, hilft bei der Hausaufgabenhilfe anderen Flüchtlingen – engagiert sich als Muslim bei einem katholischen Jugendverband. Während eines Pflege-Praktikums sagte ihm ein Mann, er wolle keine Hilfe von Flüchtlingen. Ein solches Verhalten ist zwar nicht verboten, aber verstößt gegen unsere Kultur des Miteinanders.

Was nicht verboten ist, muss nicht unbedingt Akzeptanz finden. Gesicht zu zeigen gehört zu den Errungenschaften unserer westlichen Kultur. Auch wenn kein Massenphänomen, passt die Vollverschleierung einfach nicht zu unserer offenen Gesellschaft. Es gilt erst Recht für Kinderehen, die anderswo üblich, bei uns zu Recht verboten werden.

Am „Leitbild Jesu und seiner Leitkultur der Liebe und Barmherzigkeit sollten wir uns eigentlich orientieren“, sagte aktuell Kölns Kardinal Woelki.

Es gibt geschriebene und ungeschriebene Gesetze – das hat Nobelpreisträger Heinrich Böll in einem seiner Texte gesagt, die so oft viel über die deutsche Seele sagen. Die geschriebenen Regeln – Gesetze, Recht, unser Grundgesetz – sind nicht verhandelbar. Notfalls muss sie der Rechtsstaat mit Härte durchsetzen.

Die ungeschriebenen Regeln sind Ergebnis eines gesellschaftlichen Diskurses, der nie endet. Es ist notwendig, dass wir alle immer wieder darüber im Gespräch sind. Und was uns zusammenhält, muss im Alltag vorgelebt, manchmal aktiv verteidigt werden – in der Familie, in der Schule, am Arbeitsplatz, auch in der Politik. Respekt ist der Schlüssel und der Grundsatz muss lauten: Keine Toleranz der Intoleranz.