„Uns sterben die Wähler weg“
CDU-Bundestagsabgeordneter Brand über die Gründe für das Wahldebakel
Von unserem Redaktionsmitglied BERND LOSKANT
Sein persönliches Erststimmenergebnis war besser als das seiner Partei – doch Michael Brand (47) ist alles andere als zufrieden. Im Interview spricht der alte und neue osthessische CDU-Wahlkreisabgeordnete unbequeme Wahrheiten aus und sagt selbstkritisch: „Weil wir in der Ära Merkel zu wenig diskutiert haben, waren wir im Wahlkampf nicht hinreichend sprechfähig.“
In der ersten Fraktionssitzung nach der Wahl am Dienstagabend sollen viele Abgeordnete heftige Kritik an Armin Laschet geübt haben. Wie haben Sie die Sitzung erlebt, wie war die Stimmung?
Leider ist es inzwischen so, dass vernünftige Beiträge in zu vielen Medien kaum statt-finden. Es haben die mehr Chancen, die Zoff machen. Ich habe als letzter Redner in der Sitzung auf unsere große Verantwortung hingewiesen, darauf, dass am Reichstagsgebäude „Dem deutschen Volke“ steht, nicht: „den eigenen Interessen, dem eigenen Frust“. Wir sind ja keine Selbsthilfegruppe, sondern die zweitstärkste Fraktion im Bundestag. Natürlich war die Debatte kritisch, und Armin Laschet hat natürlich Fehler eingeräumt. Aber es gab eben auch viele Beiträge, die davor warnen, nicht alles nur in die Tonne zu treten. Schließlich haben uns viele Millionen Menschen nicht dafür gewählt, damit wir uns nur mit uns beschäftigen, sondern damit wir politische Ziele umsetzen.
Direkt am Wahlabend wurde Armin Laschet in Interviews so verstanden, als hätte er trotz des miserablen Ergebnisses den Auftrag zur Regierungsbildung für sich reklamiert. Soll die CDU in dieser Situation wirklich versuchen, Verhandlungen über Jamaika aufzunehmen – oder die Oppositionsrolle annehmen und nur in dem Fall für Gespräche zur Verfügung stehen, wenn die Ampel nicht zustande kommt?
Das hat er ja als selbstverständliche Aufgabe für alle demokratischen Parteien untereinander angesprochen. FDP und Grüne haben auch den Auftrag, an einer Regierungsbildung mitzuwirken. Wir können ja nicht ohne Regierung dastehen. Es ging zu keinem Zeitpunkt darum, dass der zweite Platz am ersten Platz vorbei den Anspruch auf Regierungsbildung hat. Ich bin für Jamaika, aber weder Jamaika noch die Ampel sind gesetzt. Im Übrigen hat die SPD sehr häufig als Nummer 2 den Regierungschef gestellt. Es kommt nämlich nicht auf Personen, sondern vor allem auf die Inhalte an. Wir werden sehen, was am Ende wirklich trägt.
Allenthalben wird von einer nun notwendigen Erneuerung der CDU gesprochen. Kann diese Erneuerung mit Armin Laschet gelingen – oder muss er zurücktreten und den Weg frei machen für Jüngere wie Jens Spahn?
Also, diese gezielte Personaldebatte hat schon unserem gesamten Wahlkampf geschadet. Wenn die Union jetzt jede Woche neue Kandidaten durch den Wolf dreht, dann muss sich niemand wundern, wenn sich die Leute mit Entsetzen abwenden. Es war für die Wahlkämpfer schwer zu ertragen, dass bis in die letzten Tage des Wahlkampfs von manchen der Eindruck erweckt wurde, wir hätten nur falsches Personal und einen Sieg nicht verdient. Das grenzte schon an Sabotage. Ob Armin Laschet die CDU in die Zukunft führt, werden wir in ein paar Wochen wissen. Ich rate also von Hektik sehr ab.
Welche waren die entscheidenden Fehler, die die CDU im Wahlkampf gemacht hat und die zu der für die Partei heftigsten Wahlschlappe seit dem Zweiten Weltkrieg geführt haben?
Wir sind am Ende der Ära Angela Merkel zwischen „Weiter so“ und alles anders machen einen schweren Gang gegangen. Die einen wollten weit weg von Merkel, die anderen wollten am liebsten eine Kopie von Merkel. Weil wir in der Ära Merkel zu wenig diskutiert haben, waren wir im Wahlkampf nicht hinreichend sprechfähig. Der Kandidat hat auch Fehler gemacht, wie er eingeräumt hat. Aber am meisten hat uns geschadet, dass jede verdammte Woche jemand erklärt hat, es gäbe bessere als den, den wir als Kanzler vorschlagen. Das ist für jede Kampagne tödlich. Wenn ich die CDU zerstören wollte, würde ich das weitermachen.
Wie sehen Sie dabei die Rolle von Markus Söder? Hat er mit mancher Attacke der CDU geschadet – und teilen Sie die Meinung vieler CDU-Wähler, dass das Wahlergebnis mit ihm als Kanzlerkandidat deutlich besser ausgefallen wäre?
Die Rolle von Markus Söder und die seines Generalsekretärs sollten wir in aller Ruhe in ein paar Monaten aufarbeiten. Dazu wäre sehr viel zu sagen. Jetzt aber geht es nicht um Söder, sondern darum, nach einer historischen Wahlniederlage für die CDU, im Übrigen auch einer historischen Niederlage für die CSU, den zweiten Platz anzunehmen und in den Gesprächen mit den anderen Parteien auszuloten, was für unser Land das Beste ist. Es geht nämlich nicht um Markus Söder. Auch nicht um Armin Laschet. Es geht ganz einfach: um die Zukunft von Deutschland. Und die ist eindeutig wichtiger.
In welche Richtung muss sich die Union entwickeln? Zurück zu ihrem konservativen „Markenkern“ – die von vielen Wählern und Medien beobachtete Annäherung an Positionen von SPD und Grünen in der Merkel-Ära scheint zumindest Ihre Klientel nicht überzeugt zu haben?
Zuallererst müssen sich CDU und CSU in aller Ehrlichkeit damit auseinandersetzen, dass wir bei dieser Wahl nur noch bei den über 60-Jährigen mehr als 20 Prozent erreicht haben. Das ist ein Alarmsignal allererster Güte. Die CSU mit Markus Söder hatte bei der letzten Landtagswahl 2018 historische Verluste erlitten – und die allergrößten davon an den Tod: Der Union sterben nämlich die Wähler weg. Da kann man nicht einfach Antworten geben, die nur sagen: „an den Zeitgeist anpassen“ oder die, die nur sagen: „bitte alles so wie früher“. Diese Debatte müssen wir ehrlich führen, und klug. Sonst sterben wir aus.
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