"Lobbyist für die Region!

14.02.2022
Interview

Michael Brand im Interview mit dem Lauterbacher Anzeiger

Seit 2005 gehört der Christdemokrat Michael Brand dem Deutschen Bundestag an, sein Mandat holte er bei den Wahlen im „schwarz“ dominierten Wahlkreis 174 Fulda-Lauterbach stets direkt. In dieser Legislaturperiode gehört er erstmals in seiner bundespolitischen Karriere nicht der Regierungskoalition an, sondern musste auf der „harten“ Bank der Opposition Platz nehmen. Wie er sich
dort fühlt, und wie er die neue Rolle seiner Partei definiert, darüber sprach der 48-Jährige mit unserer Zeitung. Die Fragen stellte Redaktionsleiterin Claudia Kempf.

1. Herr Brand, Sie gehören seit 2005 dem Bundestag an und waren immer Teil der Regierungs-Koalition. Wie fühlen Sie sich jetzt als „Oppositioneller“?

Die Opposition von heute ist die Regierung von morgen. Und wir haben die Aufgabe, die Regierung zu kontrollieren und Konzepte zu entwickeln für die Zukunft. Das machen wir, und daran bin ich sehr aktiv beteiligt. Konstruktive Opposition sein, die Dinge beim Namen nennen und auch eigene Vorschläge machen – beides gehört dazu.

2. Was unterscheidet Ihre Arbeit von Ihrem bisherigen Tun? Und wirkt sich das „Nicht-mehr-Bestimmen-Können“ auch auf Ihre persönliche Motivation aus?

Die konkrete Arbeit bleibt ziemlich gleich, und natürlich erwarte ich als Wahlkreisabgeordneter für die Region auch von der neuen Regierung, dass sie auf Anliegen im Wahlkreis und in Berlin reagiert. Durch den Bundesrat und die inzwischen auch personell gut aufgestellte und auch größte Oppositionskraft im Bundestag haben wir mehr Einfluss als es nach außen erscheint. Die neue Geschlossenheit mit der Wahl von Friedrich Merz, das Aufbruchssignal und ein stärkeres Profil helfen da sehr. Und auch die letzten, wieder starken Umfragen für die CDU tragen zur Motivation bei.

3. Sie sind weiterhin Mitglied des Fraktionsvorstandes,  menschenrechtspolitischer Sprecher und Vorsitzender der Arbeitsgruppe Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ihrer Bundestagsfraktion. Welches sind die zentralen Themen für Sie, die in diesen Bereichen anstehen?

Ich bin auch weiter Mitglied im Innenausschuss, dort für Bundespolizei und mehr zuständig, was dem osthessischen Bundespolizei-Standort Hünfeld nützt. Kampf gegen Verfassungsfeinde, organisierte Kriminalität und Schleuserkriminalität sowie eine gute Ausbildung und Ausstattung für unsere Polizei sind hier ganz zentrale Themen, hier bereiten wir gerade parlamentarische Initiativen vor.

Als Mitglied im Fraktionsvorstand der CDU/CSU gibt es bei Themen wie Mittelstand, Verkehr, Energie, Breitband, Klimaschutz und vielem mehr die ganze Themenpalette, die auch konkret für Projekte im Wahlkreis eine große Rolle spielt.

Beim Thema Menschenrechte geht es nicht nur um Einzelfälle, sondern inzwischen um eine globale Auseinandersetzung, um die Frage, ob autoritäre Diktaturen wie China und Russland in Zukunft unsere Freiheit einschränken, oder ob Demokratie und offene Gesellschaft sich behaupten. China ist wegen seiner wirtschaftlichen Macht die mächtigste Diktatur, die den Frieden in der Welt bedroht. Allerdings ist die EU wirtschaftlich stärker als China, und China exportiert mehr nach Deutschland als Deutschland nach China. Wir haben also genug Möglichkeiten uns zu behaupten. Die allerdings müssen wir nutzen statt uns klein zu machen. Hier muss der neue Bundeskanzler noch Haltung zeigen, das vermisse ich bislang.


4. Sie gehören auch der Parlamentarischen Versammlung der NATO an. Wie bewerten Sie den aktuellen Konflikt mit Russland und der Ukraine bzw. die Äußerungen des inzwischen zurückgetretenen Marine-Inspekteurs? Wie könnten die von der neuen deutschen Außenministerin angedrohten „Konsequenzen“ der NATO gegenüber Russland nach einem Angriff auf die Ukraine konkret  ausfallen?

Zunächst hoffe ich, dass der internationale Druck Putin von einem Angriff abschreckt. Russland würde enorme wirtschaftliche Konsequenzen zu tragen haben, auch für uns hätte es Folgen. Aber man kann einen zynischen Autokraten wie Putin leider nicht allein durch Reden davon abhalten, ein Land zu überfallen, von dem er behauptet, dass es eigentlich zu Russland gehört. Wir kennen das aus der eigenen Geschichte: Wer einem aggressiven Diktator nachgibt, der erntet noch größere Kriege.

Auch bei uns braucht es Konsequenzen: Deutschland und Europa müssen unabhängiger von einem unkalkulierbaren, aggressiven Russland werden, vor allem bei Energie; die Gaspipeline Nordstream 2 ist unnötig und ein strategischer Fehler. Kanzler und SPD müssen das Korrigieren, auch ihr Verhältnis zur unheiligen Allianz Schröder-Putin klären. Schröder agiert schon länger wie ein ausländischer Agent nach dem Motto: Wess Brot ich ess, des Lied ich sing! Das ist gegen unsere nationalen Interessen.

Der Ukraine dürfen gerade wir Deutsche nicht verweigern, was uns über 50 Jahre im Kalten Krieg den Frieden erhalten hat, nämlich eine glaubwürdige Abschreckung. Dazu gehört, der Ukraine notfalls die Verteidigung mit Defensivwaffen nicht zu verweigern.


5. Welches sind die wichtigsten Themen, die in dieser Wahlperiode in Ihrem/unserem Wahlkreis aus Ihrer Sicht anstehen?

Wir müssen einen Schluck aus der Pulle beim Thema Infrastruktur nehmen. Damit sichern wir Beschäftigung, Arbeitsplätze und auch Attraktivität im ländlichen Raum. Da geht es um wirklich schnelle Internetanschlüsse, um gute Anbindung über Schiene und Straße sowie eine intelligente Klima- und Energiepolitik, die nicht ideologisch und einseitig ist. Dazu gehört weiterhin der Individualverkehr. Es geht um bessere Verbindungen innerhalb und um bessere Verbindungen unserer Region. Dazu braucht es besseren ÖPNV, die Vogelsbergbahn oder Entlastung durch Ortsumgehungen wie in Wartenberg. Der Ausbau der Bahnstrecke Fulda-Frankfurt hilft dem Klima und verbessert zugleich die Anbindung von Osthessen an Rhein-Main und darüber hinaus.

Ein zentrales Thema für unseren Vogelsberg ist die Versorgung mit Ärzten, Apotheken, Krankenhäusern und guter Pflege, das braucht besondere Anstrengungen. Hier sind der Austausch mit und die Arbeit von Vize-Landrat Jens Mischak ausgezeichnet, denn nur gemeinsam gelingt diese große Aufgabe.

Und ich will fröhlich an die Arbeit der vergangenen Jahre anknüpfen, als Wahlkreisabgeordneter wieder millionenschwere Bundesförderung in den Landkreis zu holen. Wir konnten vieles erreichen: Ob bei der Adolf-Spieß-Halle, dem Kreisjugendheim, bei Unterstützung von Schwimmbädern und Kitas in der Region, beim Kreisjobcenter, Förderung des innovativen Mittelstands, Tourismus, vielfach bei Denkmalschutz und Städtebauförderung, beim Modellprojekt „TRAFO-Kultur auf dem Land“ oder dem Großprojekt Naturschutz im Vogelsberg, überall unterstützt der Bund massiv. Und passiert nicht von allein, das muss auch in Berlin hart erkämpft werden. Ein offenes Ohr behalten für die kleinen und großen Anliegen im Wahlkreis, ist wichtig. Als Lobbyist für die Region, so verstehe ich mich. Der Vogelsberg ist ein so schönes Stück Erde mit tollen Dörfern, Gemeinden, Städten wie Lauterbach oder Schlitz und vor allem mit tüchtigen Menschen, die mit ihrer Heimat stark verwurzelt sind.

6. Wir gehen ins dritte Pandemie-Jahr. Das Krisenmanagement, die Impfungen und die angekündigte Impfpflicht spalten unsere Gesellschaft, auch in unserer Region. Wie kommen wir aus dieser Krise Ihrer Meinung nach am besten heraus? Was braucht es dafür? Und sind Sie inzwischen bezüglich einer Impfpflicht eindeutig entschieden?

Beim jetzigen Stand würde ich einer allgemeinen Impfpflicht nicht zustimmen, sofern nicht besondere neue Umstände eintreten - zu viele Fragen sind derzeit offen. Eine wirkliche Spaltung der Gesellschaft haben wir nicht, das kann man bei einer Impfquote von über 85 % bei Erwachsenen wirklich nicht sagen. Worauf wir achten müssen, dass wir zwischen Mehrheit und Minderheit ernsthaft und respektvoll im Gespräch bleiben. Darum bemühe ich mich jeden Tag.

7. Welche Note geben Sie bisher der neuen Bundesregierung?

Leider mangelhaft. Inflation und Energiepreise steigen dynamisch, klare Maßnahmen sind Fehlanzeige. Siehe beim Thema Impfpflicht: da fehlt eine Gesetzesvorlage der Regierung, weil es in der Koalition keinen Konsens gibt.

Noch schlimmer ist, dass Scholz schweigt und schwankt beim Thema Ukraine. Er erhöht damit das Risiko eines Krieges, denn Putin kalkuliert auf ein schwankendes Deutschland und damit auf eine geschwächte NATO. Das sind schwerwiegende Führungsfehler, die dem Frieden, unserem Land und ganz Europa schwer schaden.

Finanzminister Lindner macht 60 Milliarden neue Schulden, Klimaminister Habeck kürzt über Nacht 5 Milliarden für Energieeffizienz und Klimaschutz bei KfW-Programmen, auch Familien und Häuslebauer aus dem Vogelsbergkreis fehlt ohne Vorwarnung, quasi über Nacht wichtige Unterstützung, die der Staat zugesagt hatte. Das war wirklich kein guter Start.

8. CDU/CSU musste wegen der neuen Koalition im Plenarsaal neue Plätze – neben der AfD – beziehen. Wo sitzen Sie? Und wie fühlt sich das Nebeneinander mit den Rechtsaußen an?

Das war ziemlich unnötig, bislang auch einmalig, damit wollte uns die neue Mehrheit im Bundestag schlicht ärgern. Wir haben mit der AfD kein Nebeneinander, kein Miteinander, sondern nur ein Auseinander. Alle Demokraten müssen sich mit diesen Rechtsextremisten hart auseinandersetzen. Darum geht es, nicht um Sitzordnung. Ich finde dieses kleine Karo der Mehrheit gegenüber der Opposition schon peinlich, auch arrogant.

9. Was ist Ihr ganz persönliches „Rezept“ in diesen schwierigen Zeiten von Corona und der Politik mal abzuschalten?

Es mag vielleicht abgedroschen klingen, aber es ist so: Am besten abschalten kann ich mit meiner Familie, meiner Frau und unseren Töchtern. Ich versuche, so viel Zeit wie möglich mit der Familie einzurichten. Das tut gut und hilft schon sehr, mit den teils extremen zeitlichen Belastungen gut zurechtzukommen. Und beim Fußball kann ich richtig abschalten.

10. Sie sind ja als eingefleischter 1.FC Köln-Fan leidensfähig. Aktuell läuft es für die Geißböcke nach dem Beinahe-Abstieg in diesem Jahr recht gut. Haben Sie gerade eine besonders breite Brust? Was wünschen Sie Ihrem Verein? Und den Fans?

Der FC ist ein Lebensgefühl. Ein Traditionsverein mit Höhen und Tiefen. Breite Brust und vor allem Freude am Ball haben wir immer - und nächstes Jahr wird der FC international spielen, wenn's weiter so gut läuft. Aber um nicht abzuheben, es stimmt schon, man muss besonders leidensfähig sein. Eins lernt man bei den Geißböcken: Nicht unterkriegen lassen, in schwieriger Lage zurückkämpfen und fröhlich bleiben – ich glaube, das hilft auch in der Politik.