Hilfe in der Not- nicht Hilfe zum Tod

Michael Brand koordiniert auf Seiten der CDU/CSU den Gesetzentwurf zur Suizidbeihilfe. Der Autor (41) ist direkt gewählter Bundestagsabgeordneter im Wahlkreis Fulda. Der Namensbeitrag ist in der FZ erschienen.

Demnächst auch Demenzkranke? Belgien hat ein weltweites Tabu gebrochen: selbst Kinder können in Zukunft getötet werden, wenn sie und ihre Eltern dies verlangen. Schon diskutiert man dort über die nächste Gruppe, Demenzkranke. Mich graust vor einer solchen Welt, nicht nur wegen des Horrors in unserer eigenen Geschichte. Eines hat sich schon jetzt gezeigt: die vermuteten Sicherungen durch Gutachten von Ärzten halten nicht. So hat ein Arzt in Holland die dortige "Euthanasiekommission" verklagt, weil er als Hausarzt mit einem weiteren Kollegen gegen zwei andere Ärzte die "Abstimmung" über Leben und Tod seiner Patientin verlor und den beiden "Experten" unter anderem Arroganz gegenüber den ärztlichen Kollegen vorwirft, weil er die Prognose stellte, dass die Patientin ihre schwere depressive Erkrankung überwinden könne. Die Patientin ist tot, mit Votum der Experten, gegen den langjährig betreuenden Hausarzt.

Was würde dies für eine Welt, in der wir statt zu menschlicher Hilfe und zum Mitleiden zur "technischen Lösung" greifen würden? Die "Einzelfälle" in Belgien und anderswo haben eine tödliche Dynamik entwickelt, über ein Viertel beträgt die Steigerungsrate, und die nächsten Gruppen sind im Visier der Debatte.
Mir hat sich ein Brief einer älteren Frau sehr eingebrannt, die schlicht Angst hat davor hat, in die Spirale des Drucks zu geraten, aus dem Leben gedrängt zu werden, "lästig zu fallen"; beim Wegfall der Schutzfunktion zum Leben würde sie ausgeliefert sein. Schon gibt es Fälle, in denen Patienten aus den Niederlanden in deutsche Altenheime gehen, weil sie sich dort sicherer fühlen. Wir reden also nicht nur über die Schlagzeile "Zum Sterben in die Schweiz" - wir reden inzwischen auch über "Zum Leben nach Deutschland".

Mein verstorbener Vater erkrankte an Krebs in dem Jahr, als ich geboren wurde - seit Kindertagen beschäftigt mich die Frage von Krankheit und Leid. Beim eigenen Schwiegervater habe ich dann erlebt, wie sehr palliative Schmerzlinderung und das Angebot zur ambulanten Hospizbegleitung Angst und Sorge gelindert haben. Dies sind unendlich wertvolle Hilfen, für die Betroffenen, auch für die Familien. Meine Frau hat in der Altenpflege die gesamte Bandbreite erlebt, von schwerem Leiden bis zum glücklichen Tod, auch von Einsamkeit und Freundschaft der alten Menschen, auch mit dem pflegenden Personal.

Zuwendung und Geborgenheit in Familie, im Pflegeheim oder im Hospiz, mit Palliativmedizin und professioneller Hilfe bringen Linderung von Angst und Schmerz. Menschlichkeit und Hilfsbereitschaft statt Beihilfe zum Suizid - das sind die Parameter bei den Gesprächen zu dem Gruppenantrag, den ich für meine Fraktion mit Abgeordneten aus allen Fraktionen koordiniere.

Von Kirchen über Nationalen Ethikrat, von Medizinern und Aktiven aus der Hospizbewegung, von Betroffenen bis hin zu Juristen und Journalisten reicht die Reihe meiner zumeist sehr intensiven, stets von Engagement geprägten Gespräche. Es ist spürbar: das ist eine der Entscheidungen, in denen es um den Kern des Menschen geht, die man nicht auf die leichte Schulter nehmen kann.

Niemand wird "verurteilt" werden dürfen, der in seelischer oder körperlicher Not keinen anderen Ausweg mehr sieht als den Suizid. Was wir als Gesellschaft tun müssen, das ist Hilfe in der Not anzubieten. Mir macht Hoffnung, wenn Palliativmediziner berichten, dass sie die allermeisten "Todeskandidaten" von der Chance des Weiterlebens überzeugen konnten. Mir macht Hoffnung, dass durch bessere Pflege, Palliativmedizin und Hospiz die Todkranken am Ende ihres Lebens die Würde wahren können - und nicht dem Tod durch Spritze oder Cocktail preisgegeben sind. Wir wollen die Hand beim Sterben reichen, nicht zum Sterben.
Eines ist klar: organisierte, gar kommerzielle Hilfe zur Selbsttötung darf es nicht geben, nicht für Alte und Kranke, nicht für Kinder. Wenn es nach mir geht, dann findet diese wichtige Debatte nicht nur im Bundestag statt. Sie geht uns alle an.

(FZ, 14.2.2014)