Gegen nationale Egoisten und europäische Traumtänzer

20.06.2018
Kolumne

Der Namensbeitrag ist am 20. Juni 2018 in der Fuldaer Zeitung erschienen.

Michael Brand fordert tragfähige Lösungen statt politisches Roulette.
Der Autor (43) ist direkt gewählter Bundestagsabgeordneter im Wahlkreis Fulda.


Es bleibt sehr schwer: Das Thema Migration fordert allen Beteiligten ein extrem hohes Maß an Geduld und Nerven ab. Auch wenn die Zahlen sowohl 2017 wie 2018 deutlich unter der diskutierten Obergrenze von 200.000 liegen, wirkt der Ausnahmezustand von 2015 nach und hat Konsequenzen - sowohl in der Bevölkerung wie auch in der Politik, weil ein Kernbereich betroffen ist, nämlich die Kontrolle der eigenen Grenzen.

Die Regierungskrise ist nicht abgewendet, die Lage bleibt ernst, nichts ist ausgeschlossen. Von Merkel über Seehofer bis Söder sind sich alle vollkommen darüber im Klaren, dass wir Migration rein national nicht werden lösen können und wir internationale, vor allem europäische Zusammenarbeit zur Lösung zwingend brauchen.

Ungebremste Zuwanderung will niemand, Humanität und Hilfsbereitschaft für verfolgte Menschen hingegen schon. Es geht um das Schicksal von Menschen und eine bessere Ordnung für Europa.

Im sogenannten Masterplan, in dem satte 62 von 63 Maßnahmen vollkommen unstrittig sind, wird diese internationale Kooperation ebenfalls stark betont. Dazu gehören auch Zurückweisungen wie das Frankreichs Präsident Macron schon länger tut, durch eine bilaterale Vereinbarung mit Italien. Auch Macron weiß, dass dies längerfristig nicht funktioniert, und setzt deshalb auf europäischen Grenzschutz, gemeinsame Asylkriterien, eine europäische Asylbehörde und sogenannte Auffangzentren für Asylbewerber in Afrika, um bereits dort den Anspruch zu prüfen und so illegale Migration zu stoppen. Die Achse Frankreich-Deutschland ist stärker gefordert.

In Zeiten von Trumpisierung, gefährlichen Autokraten wie Putin, Erdogan oder Assad, der Expansion Chinas, dem Ausbreiten von Nationalismus und Populismus, auch bei uns, ist Verantwortung statt Roulette gefragt. Weder Sturheit (Merkel) noch Ultimaten (Seehofer) helfen. Vom politischen Selbstmord profitieren nur die Ränder. Es werden zu Recht konkrete Lösungen erwartet, nur so gewinnt man Vertrauen zurück.

Dass Seehofer angekündigt hat, Personen mit Einreiseverbot nach Deutschland abzuweisen, ist richtig. Ja, was denn sonst? Und es bleibt richtig, dass die Kanzlerin bis zum EU-Gipfel Ende Juni, auch danach, europäische Lösungen anstrebt. Aktuell muss allen Mitgliedsstaaten klar sein, wie viel an Stabilität auf dem Spiel steht. Gemeinsame Lösungen sind die beste Antwort, das EU-Türkei-Abkommen ist ein wirksames Beispiel.

Ja, es ist ein falscher Magnet, wenn es dabei bleibt, erstmal jeden Asylbewerber ins Land zu lassen, auch diejenigen, die bereits in einem Drittland einen Antrag gestellt haben. Mehr Zurückweisungen sind notwendig. Wahr ist auch: Sie alleine lösen das Problem nicht. Es braucht mehrere Maßnahmen für Schutz und Steuerung. Deshalb wollen wir als europäische Antwort u.a. Schutzzentren in Afrika; in Deutschland AnKER-Einrichtungen, wo Ankunft, Entscheidung, kommunale Verteilung bzw. Rückführung (AnKER) stattfinden mit rechtssicheren und zügigen Asylverfahren.

Das Thema Migration wird uns auf Dauer beschäftigen. Abschottung, harte Rhetorik und Ignorieren der Ursachen werden dabei nicht helfen, im Gegenteil. Deutschland wird große Anstrengungen unternehmen müssen, politisch wie finanziell. Ein Mittelweg zwischen nationalen und europäischen Interessen ist notwendig. Wer alles auf eine Karte setzt, wird verlieren.

Die Gefahr ist nicht abgewendet, dass der wichtigste Stabilitätsanker für das politische Deutschland, nämlich die Klammer der Unionsfraktion, durch diese Frage ebenfalls gesprengt wird. Bis zum 1. Juli will der CSU-Vorsitzende Seehofer in seiner Funktion als Innenminister abwarten. Die Bundeskanzlerin hat darauf hingewiesen, dass sie laut Verfassung die Richtlinienkompetenz innehat. Wenn die beiden Züge aufeinander knallen, dann werden wir weit mehr verlieren als die jetzige Konstellation einer unter europäischen und weltweiten Bedingungen noch immer stabilen Regierung. Es bleibt zu hoffen, dass diejenigen, die an den Hebeln der jeweiligen Züge sitzen, dies wissen, und dass sie es auch beachten.