Frauen und Mädchen besser schützen

24.08.2015
Beitrag

Amnesty International muss sein Votum gegen die staatliche Regulierung von Prostitution rückgängig machen.

Amnesty International muss sein Votum gegen die staatliche Regulierung von Prostitution rückgängig machen.

GASTBEITRAG von MICHAEL BRAND, Erschienen in der Frankfurter Rundschau am 20. August 2015

Amnesty International ist eine wichtige Menschenrechtsorganisation, ihr Einsatz ist großartig, und das weltweit. Dennoch ist auch Amnesty International nicht davor geschützt, dramatische Fehlentscheidungen zu treffen.

Die Betreuung von Gefangenen und der Einsatz für die Menschenrechte sind eine Seite. Wenn AI sich aber mit umstrittenen Thesen in die gesellschaftliche Debatte begibt, muss die Organisation auch Kritik ertragen. Die weltweite Kritik am Amnesty-Beschluss gegen die wichtige Regulierung von Prostitution, und damit auch gegen den Schutz vor allem von Frauen oder Minderjährigen vor kriminellem Menschenhandel und Ausbeutung ist berechtigt. Ernsthaftes Nachdenken sollte AI dazu bringen, den falschen Weg zu korrigieren.

Deutschland ist seit der Gesetzesänderung im Jahr 2002 zum „Bordell Europas“ geworden. Der Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe des Deutschen Bundestages hat sich intensiv mit der Frage befasst, wie eine steigende Nachfrage gerade aus Deutschland nach immer neuen – und leider häufig auch immer jüngeren – Zwangsprostituierten vor allem aus den armen Ländern Osteuropas gestoppt werden kann.

Es gab dazu eine Anhörung im Deutschen Bundestag, wir sind in die Haupt-Herkunftsländer für diesen „Menschen-Markt“ und seine „Kunden“ im reichen Deutschland gereist. Wir haben vor Ort mit Regierungsinstitutionen und nichtstaatlichen Akteurinnen Wege erörtert, wie diesem modernen Menschenhandel und der Sex-Sklaverei möglichst ein Ende bereitet werden kann. In deutschen Städten, etwa in Frankfurt am Main gemeinsam mit meiner Kollegin Kordula Schulz-Asche und der Initiative „Frauenrecht ist Menschenrecht“ (FIM), habe ich intensive, unter die Haut gehende Gespräche mit Betreuerinnen, öffentlichen Stellen und mit Prostituierten auf dem Straßenstrich geführt.

Die Erkenntnisse aus der Befassung mit dem Thema sind naturgemäß vielfältig. Natürlich ist der Kampf gegen diese moderne Form der Sklaverei komplex, und natürlich gibt es kein Patentrezept. Aber eines scheint sicher: Ein weitgehender Rückzug von Regulierung bedeutete zugleich Abbau von Schutz für versklavte Prostituierte, der im regelmäßigen Kontakt mit Ordnungsämtern, NGOs, mit Betreuerinnen oder auch mit anderen rechtstaatlichen Institutionen möglich ist.

Oftmals bieten diese staatlich veranlassten Kontakte die einzige Tür, durch die die zur Prostitution gezwungenen Frauen und Mädchen dem Horror entkommen können. Um sich aus der Umklammerung von Zuhältern oder auch brutaler Gewalt von Kriminellen zu befreien, braucht es zunächst Vertrauen, um die eigene Angst zu überwinden und sich Organisationen oder Behörden anzuvertrauen, die Schutz, Aufklärung und Hilfe anbieten. Solche Gelegenheiten entstehen nicht von selbst. Vertrauen aufzubauen ist oft mühsam.

Häufig ergeben sich wichtige Einblicke oder Einsichten für einen Ausweg erst aus solchen Gesprächen mit Ordnungsamt, mit Hilfsorganisationen, Streetworkern, auch mit einer rechtsstaatlich organisierten Polizei. Die Erfahrung, das staatliche Stellen nicht zum Repressionsapparat gehören, sondern dass bei der Kontrolle des Prostitutionsgewerbes zugleich auch Hilfe und Schutz angeboten wird, ist für viele Prostituierte aufgrund der Erfahrungen in den Herkunftsländern erst einmal neu.

Die im geplanten Prostitutionsgesetz vorgesehenen Regelungen wie Kondompflicht, Anmeldepflicht und anderes mehr bedeuten nicht Diskriminierung, sondern im Gegenteil Schutz von Prostituierten vor dem illegitimen oder illegalen Druck durch Freier oder kriminelle Zuhälter. Wichtig wäre zudem der Schutz gerade junger Frauen zwischen 18 und 21, die häufig Opfer in diesem brutalen Gewerbe werden, das immer mehr „junges Fleisch“ sozusagen „ordert“. Hier muss die Regierungskoalition nachbessern.

Auch eine nur einmalige Anmeldepflicht wäre nutzlos, wenn Frauen von Menschenhändlern durch die Republik geschickt werden. Das Wissen, wo die Frauen sich aufhalten, ist Voraussetzung dafür, konkret helfen und schützen zu können.

Wer in diesem Schutz für Menschen in einer selten ungefährlichen Arbeitsumgebung eine Diskriminierung sieht, der muss sich den Vorwurf gefallen lassen, ideologisch eingeschränkt wahrzunehmen und die bittere Praxis in diesem Gewerbe auszublenden. Prostitution ist in Deutschland weder diskriminiert noch kriminalisiert. Prostitution ohne Regeln, sozusagen nach dem freien Spiel der Kräfte, würde allerdings dazu führen, dass gerade die Schwächsten in der Kette, vor allem Frauen, in einer mehrfachen Opferrolle enden könnten: schutzlos gegenüber Gesundheitsgefahren, zudem brutalen Menschenhändlern ausgeliefert und dabei abgeschnitten von rechtsstaatlichen Institutionen oder Initiativen vor Ort, die ihr Recht auf Würde wahren und Schutz vor Gewalt organisieren können.

Amnesty International hat einen fatalen Beschluss gefasst – eine Kapitulation vor Kriminalität: Weil Diskriminierung und Illegalität nicht effizient bekämpft werden könnte, soll man das für legal erklären? Die Verdienste von AI beim Schutz von Menschenrechten weltweit, vor Verfolgung und Unterdrückung, ersetzen nicht den klaren Blick auf die Realität: Um versklavte Frauen und Mädchen aus ihrem Horror zu befreien, muss die Bekämpfung der Ursachen von illegaler Prostitution, sowohl hier in Deutschland als auch in den Herkunftsländern, verstärkt werden – und nicht geschwächt.

Michael Brand ist CDU-Bundestagsabgeordneter und sitzt dem Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe vor.