
Heute starten die Olympischen Spiele, die Propaganda-Show des Regimes in Peking. Über Sport, Menschenrechte, die Rolle des IOC und das Wegducken des deutschen Kanzlers hat "China.Table" nachgefragt. Das tägliche Online-Medium aus Peking, Brüssel und Berlin berichtet aus und über China. Zum Themenspektrum des China.Table gehören Wirtschaft, Finanzen, Menschenrechte u.v.m.
Den kompletten Beitrag und das Interview mit Felix Lee hier im Wortlaut:
"DAS IOC VERRÄT DIE OLYMPISCHE IDEE"
Michael Brand fordert eine Neupositionierung der deutschen China-Politik. Kanzler Scholz soll sich klar zu den Internierungslagern und den Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang äußern, fordert der Menschenrechtspolitiker der CDU. Er stellt die Frage, ob Deutschland alle Interessen allein der Wirtschaft unterordnen sollte. Von Volkswagen und Siemens fordert er mehr Transparenz. Die Vergabe der Olympischen Winterspiele nach Peking hält Brand für einen gravierenden Fehler. Er klagt an: "Das IOC ist zu einer milliardenschweren Geldmaschine degeneriert." Mit Brand sprach Felix Lee.
Frage: Herr Brand, schauen Sie sich die Übertragungen der Olympischen Winterspiele an?
Ich bin sportbegeistert und ich schaue gerne Olympische Spiele an. Aber mit der Vergabe an Peking haben die Spiele ihre Unschuld verloren. Das IOC verrät die olympische Idee. Ich jedenfalls werde mir die Inszenierung des chinesischen Regimes bei der Eröffnungsfeier nicht anschauen, das muss man sich wirklich nicht antun. Umso mehr drücke ich allen, vor allem den deutschen Sportlern, die Daumen und hoffe darauf, dass sie viel Freude und Erfolg haben werden.
Frage: Was konkret kritisieren Sie am Internationalen Olympischen Komitee?
Die Fehler sind nicht erst bei Peking 2022 gemacht worden. Das IOC weiß ganz genau, dass sportliche Großveranstaltungen von autoritären Staaten missbraucht werden, um sich ein besseres Image zu geben. Und dass diese Regime dafür bereit sind, enorme Preise zu bezahlen. Inzwischen ist das IOC zu einer Prostituierten von Regimen geworden, die genug zahlen. Dass ausgerechnet ein deutscher Präsident diesen Weg des IOC skizziert, ist schwer auszuhalten. Die Olympischen Winterspiele 2022 finden statt in einer Zeit, in der Peking zeitgleich mit äußerster Brutalität sowohl im Inneren als auch im Äußeren vorgeht, die Demokratie in Hongkong erwürgt, Taiwan offen mit Krieg droht, eine nie dagewesene militärische Aufrüstung betreibt und in der Provinz Xinjiang über eine Million unschuldige Uiguren in Internierungslager steckt.
Frage: Das IOC und der jetzige Präsident Thomas Bach haben schon 2008 gesagt: Die Spiele seien eine gute Gelegenheit, über Menschenrechtsverletzungen zu sprechen und auf diese Weise Wandel zu bringen.
Das Schlimme ist: Bach weiß, dass das völliger Unsinn ist, er kennt seinen Freund und Diktator Xi nur zu gut. Seit 2008 hat sich nichts verbessert. Im Gegenteil: Die Brutalität ist total. Die Olympischen Spielen standen einmal für Werte wie Frieden und Verständigung. Xi Jinping steht für das exakte Gegenteil, für Repression im Innern und für Aggression nach außen. Und Thomas Bach ist zu seinem Komplizen geworden. Wer zu Völkermord schweigt, macht sich mitschuldig. Das IOC ist zu einer milliardenschweren Geldmaschine degeneriert, Menschenrechte sind inzwischen egal.
Frage: Bei den Spielen vor 14 Jahren hatte man noch den Eindruck, das IOC pocht auf die Einhaltung der Olympischen Charta. Das scheint dieses Mal kein Thema mehr zu sein. Ist China auch für den IOC zu mächtig geworden?
Schon seit vielen Jahren geht es dem IOC nicht um die Olympische Charta, sondern um Milliardenumsätze und sonst nichts. Schon 2015 hat das IOC bei der Vergabe vieles gar nicht mehr eingefordert, weil Thomas Bach und die anderen wussten, dass Regime dann nicht mehr zahlen. Spätestens seit 2017 weiß die Welt von den Internierungslagern in Xinjiang. Da hätte das IOC Konsequenzen ziehen müssen, zugunsten der Inhaftierten intervenieren können. Diesen Entscheidungsspielraum gibt es, man muss dazu allerdings Interesse an Menschenrechten haben. Bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin näherte man auch die Illusion, man könnte den nach innen brutalen und nach außen aggressiven Nationalsozialismus bändigen. Wir wissen, was daraus geworden ist. Das IOC macht sich erneut zum Komplizen einer brutalen Diktatur.
Frage: Hat die deutsche Politik denn keinen Kontakt zu Thomas Bach?
Leute wie Thomas Bach haben mit Deutschland und unseren Grundwerten nicht mehr viel zu tun. Sie leben in einer anderen Welt, in der Geld viel und der Mensch wenig zählt. Wir haben als Parlamentarier im Bundestag die Sportverbände mehrfach auf die enormen Probleme hingewiesen. Nur, um nicht völlig schlecht dazustehen, wird gerade das absolute Minimum unternommen, das eigene Interesse wird über die Menschenrechte gestellt.
Ein konkretes Beispiel: Ein tibetischer Dokumentarfilmer war für eine 2008 gedrehte Dokumentation über die Repressionen in Tibet für vier Jahre inhaftiert, wurde gefoltert, und seine Familie wurde in Sippenhaft genommen. Der Mann lebt heute in den USA. Vor kurzem war er in Berlin und sprach mit dem Deutschen Olympischen Komitee. Im Anschluss daran sagte er mir, er habe sich im Kern nicht ernst genommen gefühlt, die Sportfunktionäre hätten sich nicht für seine Informationen und Erfahrungen interessiert. Nach draußen zeigt sich der Verband zwar interessiert, aber eigentlich schaut er weg, akzeptiert die brutale Unterdrückung in China. Denen geht es neben dem Wettbewerb auch um den finanziellen Profit.
Frage: Was bedeutet ein solches Verhalten für den Sport?
Ich glaube, auf diese Weise werden die Olympischen Spiele auf Dauer an die Wand gefahren. Natürlich widert es auch immer mehr Sportlerinnen und Sportler an, dass das IOC die Spiele zu einem reinen Instrument von Kommerz und Macht verkommen lässt. Themen wie Nachhaltigkeit, Umwelt- und Klimaschutz und natürlich die Menschenrechte spielen bei Sportlern eine große Rolle. Und auch das Publikum fühlt sich belogen. Das IOC muss endlich einen Kurswechsel vornehmen.
Frage: Befürworten Sie einen Boykott dieser Spiele?
China ist mit seinem Machtgebaren heute eine größere Gefahr als die Sowjetunion im Kalten Krieg. Insofern halte ich es schon für notwendig, ein deutliches Signal zu setzen. Dass die neue Bundesregierung sich noch nicht einmal dazu durchringen konnte, einen diplomatischen Boykott zu erklären, halte ich für einen großen Fehler. Die Sportler sollen zwar teilnehmen können. Ein diplomatischer Boykott wäre aber das Mindeste gewesen.
Frage: Ist das nicht reine Symbolpolitik?
Darum geht es doch auch, um Symbole. Ein diplomatischer Boykott ist ein starkes Symbol. Gerade solche Symbole sind einem autoritären Regime wie dem von Xi Jinping enorm wichtig. Wir erleben doch, wie das chinesische Regime inzwischen selbst hier in Deutschland versucht, selbst kleine Symbole an Solidarität mit Minderheiten, ob Flaggen oder öffentliche Kundgebungen, zu unterdrücken. Symbole sind nicht die alleinige Antwort auf ein brutales und aggressives Regime. Aber sie bleiben wichtig. Inzwischen gibt es zum Thema Menschenrechte veränderte Positionen selbst in der Wirtschaft, wie etwa beim BDI. Unternehmen erleben konkret, wie Mitarbeiter in China unter massiven Druck geraten. Wenn dann Außenministerin Baerbock von werteorientierter Außenpolitik spricht und Kanzler Scholz diese Aussagen wieder einsammelt, ist das nicht Haltung, sondern feiger Kotau. Welche Haltung hat der neue deutsche Bundeskanzler? Hat er überhaupt eine Haltung, ist er stark genug, um unser Land und unsere Demokratie wirksam zu verteidigen?
Frage: Die gleiche Frage könnte man der Vorgängerregierung stellen, an der Ihre Partei beteiligt war.
Beim Thema Menschenrechte hat sich meine Haltung nicht verändert, unabhängig davon, ob wir in der Regierung sind oder in der Opposition. Angela Merkel war eine der letzten europäischen Spitzenpolitiker, die Menschenrechtsverletzungen in China angesprochen haben. Schon damals haben andere und ich gefordert, dass wir angesichts der unter Xi Jinping immer brutaler werdenden Repression nach innen und wachsender Aggression nach außen eine andere Gangart brauchen.
Der Verweis auf damals hilft aber für die Zukunft nicht. Die strategische Auseinandersetzung mit einem immer aggressiveren China macht eine Neupositionierung unvermeidlich. Leider liefert Bundeskanzler Scholz auch hier nicht die versprochene Führung, man hört von ihm nichts zu den Internierungslagern und den Menschenrechtsverletzungen. Das muss sich ändern: Wir müssen selbstbewusst auftreten, dürfen uns nicht herumschubsen lassen.
Frage: Ist dieses Vorgehen wirklich verwunderlich? Im SPD-Stammland Niedersachsen sitzt schließlich Volkswagen, das inzwischen fast die Hälfte seiner Fahrzeuge in China verkauft. Das Land Niedersachsen ist an VW sogar beteiligt.
Deutschland hat natürlich ein Interesse an guten wirtschaftlichen Beziehungen auch mit China. Die Frage ist aber, ob wir alle anderen Interessen unseres Landes allein der Wirtschaft unterordnen. Immer noch exportiert China mehr nach Deutschland als umgekehrt, im Verhältnis zur EU ist China noch mehr auf uns angewiesen. Wir können nicht länger darauf verzichten, unsere eigenen Interessen und Wertvorstellungen zur Geltung zu bringen. Xi Jinping agiert sehr aggressiv gegenüber Mitgliedsstaaten der EU und anderen, und das schon lange. Wir dürfen uns nicht länger kleiner machen, als wir sind.
Frage: Das könnte der deutschen Wirtschaft aber teuer zu stehen kommen.
Wenn wir nicht bereit sind, für unsere Unabhängigkeit auch einen Preis zu zahlen, werden wir am Ende einen viel höheren Preis zahlen. Volkswagen hat auf Druck der chinesischen Führung ein Werk in der Provinzhauptstadt von Xinjiang errichtet, quasi in unmittelbarer Nachbarschaft zu Internierungslagern, in denen hunderttausende unschuldige Bürger unter brutalen Bedingungen inhaftiert sind. Im Land von VW und Siemens zählen Menschenrechte zur Staatsraison, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sind zentrale Werte. Diese Werte und Grundrechte sind nicht verkäuflich, wir können sie nicht über Bord werfen, weil einzelne Unternehmen um Exporteinbußen fürchten.
Frage: Aber was fordern Sie konkret?
VW und Siemens und andere müssen endlich Transparenz praktizieren. Was ist konkret vereinbart worden an strategischer Kooperation zwischen VW und China? Wie konkret wird VW ausschließen, dass in Xinjiang und in den Lieferketten keine Zwangsarbeiter involviert werden? Was hat Siemens in den Aufträgen zur Unterstützung der digitalen Überwachung mit dem chinesischen Staat konkret vereinbart? Vor allem gilt: Wegsehen bei Genozid ist eine Schande, und man macht sich mitschuldig. Gerade deutsche Unternehmen tragen eine besondere Verantwortung, wenn in ihrem Umfeld Völkermord begangen wird.
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