Düsteres Kapitel „Colonia Dignidad“ Druck aus dem Bundestag

04.05.2020
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Tief bewegt hat mich eine Zuschrift auf ein aktuelles Interview zu einem düsteren Kapitel, auch deutscher Diplomaten, und zu einem Ort grausamer Verbrechen. Zu lange wurde weggeschaut, geleugnet. Auf Druck des Bundestages ist es zu Bewegung gekommen. Ein ehemaliger Bewohners der „Colonia Dignidad“, der Bestialisches erdulden musste, schreibt mir dazu:

„Bei dem Foto überläuft mich eine Gänsehaut: Der Betonpfahl neben Ihnen (die kleine Ausführung)  ist einer von 12.000 die ich in der CD betonieren musste, 48 km Zaun wurden damit gebaut. Die drei Betonmasten im Tal zählen zu hunderten die wir auch von Hand betoniert haben. … Und heute schwere Arthrose und verbraucht.
Danke, ja vielen Dank, als siebenköpfige Familie aus der Colonie müssen wir jeden Cent zweimal umdrehen. Sie und Ihre Mitstreiter sind die Einzigen, die jemals etwas handfestes für uns getan haben. Vielen Dank.“

Hier das komplette Interview in der Wochenendausgabe 2./3. Mai 2020 von Fulda Aktuell:
https://www.lokalo24.de/lokales/fulda/entschaedigung-opfer-colonia-dignidad-fragen-michael-brand-13745392.html

„Jahrzehntelang war das hermetisch abgeriegelte Straflager „Colonia Dignidad“ in Chile des vor einem Haftbefehl aus Deutschland geflohenen Kinderschänders und Sektenführers Paul Schäfer ein Ort grausamer Verbrechen. Lange hatte die deutsche Botschaft weggeschaut und die deutschen und chilenischen Opfer im Stich gelassen. Inzwischen hat der Deutsche Bundestag gemeinsam mit der Bundesregierung eine Gemischte Kommission eingerichtet, um etwa 200 noch lebenden Opfern durch Hilfszahlungen und psychologische wie medizinische Betreuung die Folgen des erlittenen Unrechts zumindest zu Teilen abzumildern.

Der osthessische Abgeordnete Michael Brand, Sprecher für Menschenrechte seiner Fraktion im Deutschen Bundestag, hat lange um die Hilfen für die Opfer gekämpft. Jetzt sind erste Zahlungen nach Chile und in Deutschland erfolgt. Mit dem Abgeordneten sprach „Fulda aktuell“ über die Hintergründe, die Motive und die Perspektive dieses Projekts humanitärer Hilfe.

Fulda aktuell: Wie bewerten Sie die Tatsache, dass erste Opfer der „Colonia Dignidad“ Geld aus Deutschland bekommen?

Michael Brand:  Dafür haben wir sehr lange und sehr stur gekämpft, weil die Opfer des Kinderschänders und Folterknechts Paul Schäfer in Chile über Jahrzehnte ihr Lager mit deutschen und chilenischen Insassen auch deshalb weiter führen konnten, weil die deutsche Diplomatie sich durch Schweigen, Herunterspielen und Bezweifeln der schlimmen Vorgänge im Ergebnis die längere Existenz des Lagers mit ermöglicht hat und die Opfer, darunter ganz überwiegend deutsche Staatsbürger, nicht schützen wollte.

FA: Wie werden die Gelder verteilt, wie wurden die Opfer ausfindig gemacht?

Brand: Dazu haben der Bundestag und die Bundesregierung eine eigene fachlich gut besetzte Kommission eingerichtet, die jeden Einzelfall geprüft und nach Prüfung entscheidet, wohin die Gelder ausgezahlt werden. Die ersten der etwa 200 Opfer haben ihre Zahlungen bereits erhalten, und bis zum Jahresende werden wir das hoffentlich in guter Weise für alle sichergestellt haben.

FA: Wie kam es nach den vielen Jahren jetzt zu dem Durchbruch?

Brand: Im Deutschen Bundestag gab es eine breite Front derjenigen, die diese offene Wunde deutscher Außen- und Menschenrechtspolitik nicht länger klaffen lassen wollten. Vor allen Dingen werden die Opfer ja nicht jünger, und viele sind aufgrund von Zwangsarbeit und Misshandlungen in dem Lager gesundheitlich schwerst geschädigt. Deshalb haben wir, teils gegen den Widerstand der Bürokratie vor allem im Auswärtigen Amt, als Parlament sehr viel Druck gemacht, und wir haben uns im Ergebnis durchgesetzt.

FA: Im Sommer 2018 waren Sie als Vorsitzender des Menschenrechtsausschusses der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion mit anderen Abgeordneten vor Ort in Chile, um sich ein Bild zu verschaffen. Hat dieses Erleben Ihren Einsatz für eine Entschädigung mitgeprägt?

Brand: Natürlich spielt die direkte Begegnung mit Opfern schwerster Misshandlungen, noch dazu in fortgeschrittenem Alter, denen man die physischen Auswirkungen und auch die seelischen Verletzungen sozusagen ansehen kann, noch einmal eine besondere Rolle. Allerdings sind wir ja nach Chile gereist, weil wir sehr viel Information über die unglaubliche Situation in diesem Lager, die sich ja über Jahrzehnte erstreckt hat, mit Vergewaltigung von Kindern, Folterungen des Militärregimes auf dem Gelände, Sklavenarbeit ab dem 10. Lebensjahr und viele andere unaussprechliche Dinge zusammengetragen hatten. Wir wussten also einigermaßen, was uns erwartet. Dennoch ist es so, dass man über vieles, was man dort hört, am liebsten mit anderen nicht spricht, weil es so entsetzlich brutal ist, was man hört. Wichtig ist, dass man dann nach Hause fährt und umso entschlossener für eine Lösung kämpft. Das haben wir getan.

FA: Wie könnte es nun weitergehen?

Brand: Nun gibt es ja erst einmal die Zahlungen an die Opfer, die ja nicht eine Entschädigung bedeuten: Was sind 10.000 Euro gegen ein Leben als Sklave, als Insasse eines Lagers, das von einem Folterknecht und Kinderschänder geführt wird und aus dem man nicht fliehen kann? Es ist eine symbolische Geste Deutschlands, und natürlich hilft es, vielleicht jetzt in der Corona-Zeit noch einmal mehr, um bestimmte Dinge erledigen zu können. Die Leute sind ja auch völlig verarmt, haben als Lagerinsassen selbst verständlich nie Beiträge in die Rentenversicherung gezahlt, im Gegenteil: die von der Deutschen Rentenversicherung gezahlten Beiträge haben sich Paul Schäfer und die Führung in die eigene Tasche gesteckt. Die deutsche Botschaft in Chile hat die entsprechenden Bescheinigungen ausgestellt, ohne zu überprüfen, ob die Empfänger tatsächlich noch leben - das war gegen die rechtlichen Bestimmungen, die selbstverständlich eine solche Überprüfung erfordern. Erst der kürzlich verstorbene Norbert Blüm hat als Bundesminister eine Überprüfung angeordnet, eigenes Personal zur „Colonia“ entsandt und darauf bestanden, die Empfänger der Rentenzahlungen zu sehen. Das wurde verweigert, und so wurden die Zahlungen eingestellt.

Weil das alles so ist, und weil das auch durch das Versagen der Diplomaten in der Botschaft in Chile mitverursacht worden ist, arbeiten wir zur Zeit daran, wie wir zumindest die gesundheitliche Fürsorge der zum Teil pflegebedürftigen älteren ehemaligen Insassen auf Dauer sichern. Das wird noch einiges an Beratung und Verhandlung brauchen, aber auch das, da bin ich entschlossen und ganz zuversichtlich, werden wir für diese Leute erreichen.“