Der Haken an Spahns Organspende-Plänen

09.01.2019
Kolumne

Der Namensbeitrag ist am 09. Januar 2019 in der Fuldaer Zeitung erschienen.

Michael Brand warnt vor einem übergriffigen Staat und wirbt für Augenmaß. Der Autor (45) ist direkt gewählter Bundestagsabgeordneter im Wahlkreis Fulda.

Den Organspende-Ausweis trage ich seit Langem bei mir, stehe als Spender zur Verfügung, und zwar aus Überzeugung. Wenn aber der Staat ein Problem lösen will, darf er nicht mit unverhältnismäßigen Mitteln darauf reagieren.

Gesundheitsminister Spahn will per Gesetz alle Bundesbürger zu potenziellen Spendern machen - wer das nicht will, soll ausdrücklich widersprechen müssen. Zu Recht hat der Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, Pater Dabrock, auf einen eklatanten Widerspruch hingewiesen: Während einer Datenweitergabe durch die neue EU-Datenschutz-Grundverordnung ausdrücklich zugestimmt werden muss, will der Staat das bei der Organspende umdrehen, obwohl es sich doch um einen viel höchst persönlicheren Eingriff handelt.

Nein, bevor man tiefe Eingriffe in das Selbstbestimmungsrecht und die Würde des Menschen vorschlägt, sollte man analysieren, wo genau das Problem liegt und Lösungen mit Augenmaß anbieten. Warum eigentlich ist die prinzipielle Bereitschaft zur Organspende so groß, und die konkrete Bereitschaft der Umsetzung so gering?

Ursache an der Entwicklung sind nicht etwa immer weniger potenzielle Organspender, wie oft vermutet wird – 2019 ist die Zahl sogar um über 15 Prozent gestiegen, während die tatsächlichen Organspenden seit 2010 um 30 Prozent zurückgegangen sind.
Eine im „Deutschen Ärzteblatt“ veröffentliche Studie belegt, dass die Mehrheit der Transplantationen nicht etwa an der Spendenbereitschaft scheitert. Der Grund dafür liegt vielmehr an organisatorischen Problemen in den Entnahmekliniken, mögliche Organspender werden dort immer seltener erkannt und gemeldet.

Nicht alleine die hehren Forderungen nach mehr Organspenden werden bessere Lösungen bringen. Es gilt Hausaufgaben im Gesundheitssystem präzise zu erledigen. Der kürzlich vorgelegte Gesetzentwurf für eine bessere Zusammenarbeit sowie bessere Strukturen bei der Organspende wird fraktionsübergreifend anerkannt und sollte erst einmal Wirkung entfalten können.

Spahns Plan der kompletten Systemänderung suggeriert Problemlösung, wird aber selbst zum Problem, weil ein übergriffiger Staat verschreckt. Die Erfahrungen andere Länder wie Schweden zeigen, dass die Lösung nicht einfach in der Widerspruchslösung liegt, sondern in einer grundlegenden Verbesserung der Abläufe rund um die Organspende. Auch muss Vertrauen zurückgewonnen werden, angesichts von Unregelmäßigkeiten bei Wartelisten und Undurchsichtigkeit bei der Vergabe.

Vertrauen erreicht man durch Transparenz und indem Sorgen ernst genommen werden. Dies erreicht man sicher nicht, wenn man den Menschen von Gesetzes wegen zum Spender erklärt, ohne dass dieser dem aktiv zugestimmt hat. Stattdessen sollte über Alternativen entschieden werden, die ohne gravierende Grundrechtseingriffe auskommen: Stärkung von Transplantationsbeauftragten; bessere Ausstattung und Ausbildung, um bei sensiblen Gesprächen, die Angehörigen zu informieren und zu begleiten; möglicherweise ein Spenderregister, bessere Aufklärung von Bürgern etwa bei der Ausstellung von Ausweisen.

Im US-Bundesstaat Maryland ist das so beim Führerschein, eine Pro-Entscheidung wird dort mit Herzchen-Symbol vermerkt. Auch durch gezielte Kampagnen auf Social-Media- Plattformen könnte die Zahl potenzieller Spender erhöht werden. Andere Konzepte wollen Organspendern einen Bonus einräumen, falls sie oder Familienangehörige auf eine Organspende angewiesen wären.

Ein Problem, dass die Organspende zunehmend erschwert: Immer mehr Menschen untersagen in ihrer Patientenverfügung intensivmedizinische Behandlung in einer aussichtslosen Situation, wodurch - oft ungewollt - eine Organspende ausgeschlossen ist. Auch das löst die Widerspruchslösung nicht.

Weder der Staat noch andere haben bislang genug unternommen. Politik und Gesellschaft sollten in einer breit angelegten Debatte deshalb nach Lösungswegen suchen, die die Selbstbestimmung des Einzelnen ohne Wenn und Aber respektieren und gleichzeitig den hohen ethischen Wert der Organspende deutlich machen.

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