
Der Namensbeitrag ist am 8. Juni in der Fuldaer Zeitung erschienen. Michael Brand fordert eine klare Haltung gegenüber der Türkei. Der Autor (42) ist direkt gewählter Bundestagsabgeordneter im Wahlkreis Fulda.
Der türkische Präsident Erdogan wettert gegen deutsche Abgeordnete, provoziert Hass-Mails, gar Morddrohungen, garniert seine Attacken mit beachtlichen Verschwörungstheorien: Demnach hätten wir Abgeordnete Anweisungen von einer „mysteriösen Macht“ erhalten.
Türkischstämmige Abgeordnete im Bundestag werden zum verlängerten Arm von Terroristen erklärt, sie sollten gar zum Bluttest, denn sie seien ja offensichtlich keine Türken – ganz egal, dass alle Abgeordneten im Bundestag Deutsche sind. Und Deutschland sei „das allerletzte Land“, das über einen „sogenannten Völkermord“ der Türkei abstimmen solle. Erdogan reagiert so, wie manche es von ihm erwartet hatten.
Das deutsche Parlament hat sich, unabhängig von aktuellen Nützlichkeitserwägungen, weder von den Drohungen aus Ankara noch persönlichen Bedrohungen beeindrucken lassen.
Es ist gut, aber auch überfällig, dass nach vielen Ländern, von der Schweiz bis Russland, dem Europäischen Parlament oder Papst Franziskus jetzt auch Deutschland den Völkermord beim Namen nennt. Es war ein steiniger Weg. Noch vor einem Jahr haben Bedenkenträger auch bei uns gebremst, wollten sich wegducken, allen voran im Auswärtigen Amt.
Das Parlament ist nicht Sprecher der Regierung, das war seinerzeit eines meiner Argumente. Es dürfe bei uns keinen taktischen Umgang mit der Wahrheit geben. Wenn wir in den Demokratien Europas die Wahrheit nicht mehr sagen, wer denn dann? Es wäre fatal, dem Druck Erdogans nachzugeben und auf die Resolution zu verzichten.
Der Völkermord an den Armeniern ist eine historische Tatsache. 1,5 Millionen Menschen fielen ihm 1915/16 zum Opfer. Im Gegensatz zur offiziellen Linie gibt es auch türkische Stimmen, die sich mit der Frage des Genozids offen und ehrlich auseinandersetzen, auch sie haben ein Signal der Stärkung verdient.
Deutschland hat sich seiner Vergangenheit gestellt, auch das war ein schmerzhafter Prozess. Aus dieser Erfahrung wissen wir: Es ist kein Zeichen von Schwäche sondern von Stärke, wenn man sich zur Wahrheit bekennt, auf Aufarbeitung und Versöhnung setzt. Das gilt auch für die stolze Türkei.
Den Bruch hat Erdogan aktuell nicht gewagt. Trotz dessen lauter Rhetorik setzt der neue Regierungschef von Erdogans Gnaden auf Deeskalation, betont die „sehr wichtigen“ Beziehungen unserer Länder. Das Flüchtlingsabkommen mit der EU wird nicht in Frage gestellt, Sanktionen blieben aus.
Der Grund ist klar: Eine außenpolitisch ziemlich isolierte Türkei, die durch IS-Terroristen und die der PKK unter Druck steht, kann sich nicht ernsthaft einen Bruch mit einem seiner verlässlichsten Partner leisten – will sie nicht in noch größere Turbulenzen kommen. Der gestrige Anschlag in Istanbul ist kein Einzelfall mehr. Auch die Türkei ist auf gute Beziehungen angewiesen und tut auch einiges dafür.
Die Türkei hat als direkter Nachbar Syriens fast 3 Millionen Flüchtlingen Schutz gewährt, mehr als die gesamte EU zusammen. Unser Abkommen mit der Türkei sichert die Außengrenzen der EU besser, verringert die Weiterflucht nach Westeuropa massiv.
Dieser Kurs und auch weitere Vereinbarungen mit anderen Ländern sind notwendig. Die EU bereitet gerade Abkommen mit afrikanischen Ländern vor - auch Sanktionsmöglichkeiten gegen unwillige Regierungen - um illegale Migration nach Europa und Fluchtursachen zu bekämpfen. Klar ist: Migration und Flucht werden wir nicht in den Griff bekommen, wenn wir die Ursachen nicht gemeinschaftlich bekämpfen.
Es geht auch um den Kampf gegen Schleuserkriminalität und die Sicherung der EU-Außengrenzen. Es geht nicht allein um Flüchtlinge, es geht auch um unser Land, letztlich auch um Wohlstand und Sicherheit. Scheinlösungen helfen nicht, im Gegenteil. Auch Schwarz-Weiß-Denken gegenüber dem NATO-Partner Türkei ist falsch, Naivität allerdings auch.
Eines hat die Debatte um die Armenien-Resolution klar gezeigt: Deutschland darf sich nicht erpressen lassen. Nicht bei der Armenien-Frage, nicht bei Visa-Freiheit, nicht beim Flüchtlingsabkommen der EU mit der Türkei.
Empfehlen Sie uns!