
Die stille Diplomatie hat im Falle Chinas nicht geholfen. Die leise Kritik an Peking muss deutlich lauter werden.
China bereitet sich nach dem Amtsantritt von Donald Trump auf härtere Zeiten vor. Der Auftritt von Staatspräsident Xi Jinping als vermeintlicher Fahnenträger des Freihandels beim World Economic Forum in Davos ist ein deutliches Zeichen, dass Peking in Unruhe ist. Dass der neue US-Präsident gar die Ein-China-Politik in Frage stellt, dass er die Taiwan-Frage nutzt, um Druck auf die chinesische Führung auszuüben, hat Entsetzen in Peking ausgelöst. Der Konflikt mit den USA kommt zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Die chinesische Wirtschaft ist ins Stocken geraten – niedrigere Dynamik bei Wachstum und steigende Überkapazitäten.
China „lade die Welt ein, in den Schnellzug der chinesischen Entwicklung einzusteigen“, so Xi Jinpings Zweckoptimismus als Antwort auf Trumps Abschottungspläne. „Protektionismus ist wie sich in einen dunklen Raum einsperren. Regen und Wind mögen draußen bleiben, aber auch Luft und Licht“, so der Präsident eines offiziell kommunistischen Landes – freilich ohne die eigene wirtschaftliche Abschottung zu erwähnen. Das übernahm in einer öffentlichen Erklärung ungewöhnlich klar der deutsche Botschafter in Peking. Ein modernes und starkes China wird sich aber nicht nur messen lassen müssen an Fortschritten in Wirtschaft und Technik, sondern auch in Menschlichkeit und zivilisiertem Umgang mit anderen.
Hoffnungen nach dem Amtsantritt von Xi Jinping haben sich nicht erfüllt, im Gegenteil: Menschenrechtsverteidiger – jüngst auch der bekannte Anwalt Jiang Tianyong –, Aktivisten, Blogger sind zunehmender Repression ausgesetzt, hohe Haftstrafen inklusive. Wer mehr Freiheit fordert, wird jahrelang weggesperrt.
Bei den Verhören von Verdächtigen sind Folterungen noch immer an der Tagesordnung, berichtet Amnesty International. Ein erpresstes Geständnis sei die einfachste Methode, um eine Verurteilung zu erreichen. Nicht-Regierungsorganisationen werden durch neue Sicherheitsgesetze an die Kette gelegt, die Internet-Zensur verschärft. Im Sommer 2015 kam es zur größten Verhaftungswelle gegen Menschenrechtsanwälte, ihre Mitarbeiter und Aktivisten mit Hunderten von Festnahmen, Verurteilungen zu mehrjährigen Haftstrafen. Die Verfahren entsprachen in keiner Weise rechtsstaatlichen Standards. Laut ist das Schweigen im Westen angesichts ernstzunehmender Berichte über Umerziehungs- und Zwangsarbeitslager sowie über Organhandel, dem Tod auf Bestellung.
Besonders dramatisch bleibt die Lage für die Tibeter und Uiguren, ihre religiöse wie kulturelle Unterdrückung und die massive Ansiedlung von Han-Chinesen. Das maßlose Vorgehen führt in Xinjiang zu einer eskalierenden Gewalt. Die systematische Zerstörung von religiösen Heiligtümern der Tibeter (aktuell die bedeutende Lehranstalt Larung Gar) und die brutale Unterdrückung dieser einzigartigen Kultur des für seine Friedfertigkeit bekannten Volkes, ist einer so alten und großen Kultur wie der chinesischen völlig unangemessen und trägt nicht zur Verbesserung des Ansehens von China in der Welt bei.
Die Tibeter sind nicht aggressiv anderen gegenüber – es gibt überhaupt keinen Grund, gegenüber den Tibetern aggressiv zu sein. Die vielen Selbstverbrennungen tibetischer Mönche – fast 150 in den letzten fünf Jahren – sind ein Aufschrei und eine Mahnung an die Menschlichkeit. Entgegen der Behauptung Pekings tritt der Dalai Lama mit seinem friedlichen Weg nicht für eine Unabhängigkeit Tibets ein, sondern für ein Miteinander „ohne jede Trennung von China“.
Das Recht des Stärkeren ist nicht die neue Weltordnung, die wir anstreben, sondern der Ausgleich und der Respekt vor anderen, auch wenn diese kleiner und schwächer erscheinen. Die neuen Muskelspiele zwischen Washington und Peking beinhalten Risiken und Chancen zugleich. Ob Beobachter Recht haben, dass sich China Europa und besonders Deutschland zuwendet, bleibt abzuwarten.
Berlin sollte neue Möglichkeiten nicht vorbeiziehen lassen und jetzt eine aktivere Rolle in den Beziehungen zu China spielen – bei den Themen Menschenrechte, Klimawandel und Freihandel. Deutschland ist ein wichtiger und verlässlicher Partner. Wir sollten uns nicht kleiner machen als wir sind. Nur wenn ein echter Dialog stattfindet, kann es echte Veränderung geben. Dass die Berliner Diplomaten keine Konsequenzen gezogen haben aus dem Eklat, dass deutsche Abgeordnete zensiert werden sollten und ihnen die Einreise verweigert wurde, wird in Peking sicher nicht als Stärke bewertet. Haltung zeigt das nicht.
Ende 2016 fand der 14. Menschrechtsdialog zwischen Deutschland und China statt. Für die chinesische Seite sind diese Runden sehr bequem geworden: Die Kritik wird zwar angesprochen, befürchten muss man bislang aber wenig. Zum Dialog gibt es keine vernünftige Alternative – doch zum Selbstzweck darf er nie werden.
Wahr ist: Lautsprecher-Diplomatie hilft selten. Aber mit Leisetreterei gegenüber Menschenrechtsverletzungen bekommt man keinen Respekt von Regierungen in Russland, der Türkei oder China. Wenn die „stille Diplomatie“ im Falle Chinas so zielführend ist, dann muss man schon fragen, warum dort die Lage der Menschenrechte immer dramatischer wird? Nein, stille Diplomatie allein reicht nicht aus. Dialog ohne echte Konsequenzen ist wirkungslos.
Es ist Zeit, dass der neue Mann im Auswärtigen Amt analysiert und Konsequenzen zieht – ansonsten verkommt der Menschenrechtsdialog mit China zu einem Feigenblatt. Und die Schwächsten zahlen dafür weiter den bitteren Preis.
Der Gastbeitrag ist am 29. Januar 2017 in der Frankfurter Rundschau erschienen. Michael Brand ist direkt gewählter Bundestagsabgeordneter im Wahlkreis Fulda. Bis Januar 2017 war er Vorsitzender des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe und ist nun menschenrechtspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
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