"Gute humanitäre Politik dient der politischen Stabilität ganzer Regionen" - Bundestagsdebatte über Bericht der Bundesregierung

08.05.2015
Rede

In der heutigen Debatte im Deutschen Bundestag hat der Vorsitzende des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe, Michael Brand, weitere Konsequenzen aus dem "Bericht der Bundesregierung über die deutsche humanitäre Hilfe im Ausland" gefordert. "Gute humanitäre Politik" diene der "politischen Stabilität ganzer Regionen und auch der Sicherheit unserer eigenen europäischen Region".

Die Rede hier im Wortlaut:

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Nächster Redner: Michael Brand für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Michael Brand (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Aktuell verzeichnen wir weltweit 50 Millionen Flüchtlinge, so viele wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Humanitäre Hilfe ist in einer solchen Lage nicht nur ein Gebot menschlichen Mitleids; humanitäre Hilfe aktiv anzubieten, ist eine Frage von Haltung. Dies gilt für uns Menschen, für jeden einzelnen von uns, aber es gilt auch für ganze Staaten. Insbesondere gilt es für diejenigen, die mehr Möglichkeiten haben als andere.

Wir verzeichnen angesichts vieler Krisen einen stark anwachsenden Bedarf bei der Finanzierung humanitärer Hilfe. Ohne die einzelnen Appelle der Vereinten Nationen für die jeweiligen Budgets in Milliardenhöhe hier aufzuführen, muss festgehalten werden: Die Summe der Katastrophen und Krisen übersteigt die bisherigen Erfahrungen, und sie erfordert neue Antworten im finanziellen Bereich. Folgerichtig spricht der vorliegende Bericht der Regierung von der Notwendigkeit, einen neuen Ansatz in der deutschen humanitären Hilfe zu wählen.

Es geht hier um nichts weniger als um einen Paradigmenwechsel. In den letzten Jahren hat sich die Perspektive der humanitären Hilfe verändert. In Zukunft müssen wir von einer reaktiven Hilfeleistung nach einer Krise deutlich mehr zu einem vorausschauenden Handeln zur Vermeidung von Krisen kommen. Wir begrüßen sehr, dass die Bundesregierung hier wichtige Schritte getan hat, um sich auf diese Zäsur einzustellen; ich nenne nur die neue Krisenabteilung im Auswärtigen Amt. Aber unter allen Ressorts besteht die Notwendigkeit, die Koordinierung zu verbessern, um schneller und effektiver helfen zu können.

Der vorliegende Bericht stellt völlig zu Recht fest: Die Anforderungen wachsen sowohl an Qualität und Effizienz wie auch an die beschriebene Koordinierung der internationalen humanitären Hilfe. Dies gilt auch für die innerhalb der EU koordinierte humanitäre Hilfe aus Deutschland, die vor allem multilateral erfolgt. Bei aller Abstimmung muss sich ein so herausragender humanitärer Akteur wie die Bundesrepublik Deutschland aber das Recht vorbehalten, bei Bedarf oder nach individueller Beurteilung auch bilateral aktiv werden zu können. Andere Länder tun dies auch, und gerade die Deutschen mit ihrer hohen Akzeptanz weltweit können durchaus bilateral manchmal mehr bewirken als im multilateralen Konzert.

Die Abstimmung der Akteure untereinander und auch mit der Bundesregierung und den internationalen Institutionen und Organisationen ist mitentscheidend für die Qualität des deutschen Beitrags auf dem internationalen Parkett. Der Koordinierungsausschuss Humanitäre Hilfe beim Auswärtigen Amt erfüllt hier als Schnittstelle zwischen Regierung und den Nichtregierungsorganisationen eine wirklich zentrale Rolle.

In Zukunft wird es neben Qualität und Effizienz der humanitären Hilfe aber auch darauf ankommen, die Mobilisierung privaten Engagements zu stärken. Es stimmt: Nicht jede einzelne Idee zur humanitären Hilfe ist automatisch auch gut umgesetzt. Wahr ist aber auch: Nicht wenige der kleinen humanitären Hilfsorganisationen sind schneller vor Ort und können aufgrund ihrer guten Vernetzung - da haben Sie recht, Herr Koenigs - mit lokalen Akteuren vielfach schneller die Opfer erreichen als die großen humanitären Organisationen, die natürlich auch in Zukunft den Löwenanteil der humanitären Hilfe tragen werden.

Ich habe nur wenige Meter von hier entfernt in der Parlamentarischen Gesellschaft gestern vom Bürgermeister der nordirakischen Stadt Erbil, Herrn Kodscha, den Satz gehört: Das werden wir Deutschland nicht vergessen. Und er erzählte, dass er am 20. Dezember des letzten Jahres am Flughafen einen Hilfstransport von einer dieser Organisationen, von Luftfahrt ohne Grenzen, entgegengenommen hatte; Frank Franke sitzt unter den Zuhörern. Diese Organisation hatte einen Hilfstransport in den Nordirak geplant. Genau in diesem Moment, am 20. Dezember hatten die kurdischen Einheiten das Sindschar-Gebirge freigekämpft, das von ISIS umstellt war. Man hat schnell reagiert. Diese Hilfsorganisation war die erste, die dringend notwendige Hilfe ins Sindschar-Gebirge gebracht hat. Sie hatten sechs Lkws umfunktioniert, um die Hilfe dort hinzubringen, wo sie am dringendsten gebraucht wird. Ich sage dieser Organisation stellvertretend für alle anderen Hilfsorganisationen, die ihren wichtigen Beitrag dazu leisten, ein herzliches Dankeschön.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir müssen als Staat auch darauf achten, dass wir privates Engagement und privaten Mitteleinsatz nicht durch Überbürokratisierung der Anforderungen in Teilen ersticken. Staatliche Unterstützung bleibt wesentlich für den Erfolg. Aber wir dürfen nicht vergessen: Die privat mobilisierte Hilfe übersteigt die staatliche vielfach noch immer deutlich. Deshalb müssen wir dieses unverzichtbare private Engagement stärken, und wir dürfen es nicht versehentlich schwächen. Auch das ist eine Lehre aus der Anhörung im Deutschen Bundestag.

Humanitäre Hilfe hat es auch aus einem anderen Grund schwerer. Selbst wenn die Hilfe verfügbar ist, erreicht sie nicht immer das Ziel; ich habe das beschrieben. Nicht nur mir sind Fälle bekannt, zum Beispiel im Bereich medizinischer Versorgung, in denen zwar Mittel zur Verfügung gestellt wurden, diese aber wegen der kriegerischen Lage nicht bis zu den Opfern gebracht werden konnten. Gerade bei den akuten Krisen und gewaltsamen Konflikten bleibt das Dilemma: Humanitäre Hilfe fehlt oft genau dort, wo sie dringend gebraucht wird. Hier bleibt die Kooperation mit lokalen Akteuren, aber auch benachbarten Staaten ein Ausweg. Diese Kooperation kann und sollte durchaus über den humanitären Bereich hinausgehen. Wenn Länder wie Jordanien, der Libanon oder auch die Türkei die Millionen Flüchtlinge aus dem Irak oder aus Syrien aufnehmen, dann können wir vor dieser humanitären Großzügigkeit nur den Hut ziehen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Bericht der Bundesregierung ist also Bilanz und programmatischer Ausblick zugleich. Die ausführliche Anhörung zu diesem Bericht im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe hat viele Anregungen gebracht. Eines hat sie aber vor allem zutage gefördert: Wir werden mit der zunehmenden Komplexität und Quantität humanitärer Krisen auch in Zukunft zu rechnen haben. Die dramatische Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer ist nur ein aktueller Ausdruck dessen, dass uns die humanitären Katastrophen in immer größerem Maße unmittelbar betreffen. Wir werden in einer zunehmend globalisierten und wechselseitig immer abhängiger gewordenen Welt der Erkenntnis nicht entkommen: Nicht nur wirtschaftlich, sondern auch im Bereich humanitärer Katastrophen werden wir in Zukunft sehr viel stärker betroffen sein, als es vielen bisher bewusst ist und manche auch wahrnehmen wollen.

Ich komme zum Schluss. Dass mit dem Bericht ein ernsthafter Versuch unternommen wurde, auf diese neuen Herausforderungen entsprechende Antworten zu entwickeln, ist ein wichtiger Schritt. Es ist ein wichtiger erster Schritt, und wir werden uns auch als Deutscher Bundestag mit diesen Themen als Querschnittsaufgabe in Zukunft intensiver befassen müssen. Wir werden uns damit nicht nur aus humanitären oder karitativen Gründen befassen müssen, sondern auch aus strategischen Gründen. Humanitäre Außenpolitik ist integraler Bestandteil der internationalen Politik unseres Landes geworden. Gute humanitäre Politik dient der politischen Stabilität ganzer Regionen und auch der Sicherheit unserer eigenen europäischen Region.

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Bitte Zeit beachten!

Michael Brand (CDU/CSU):

Frau Präsidentin, mein letzter Satz.

(Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Ein Satz!)

Es geht also nicht nur um unser menschliches Mitleid - das vielleicht zuallererst -, sondern auch um unsere nationalen Interessen. Wenn es anderen gutgeht, dann geht es auch uns besser, und das auf Dauer.

Vielen Dank, Frau Präsidentin.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD - Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Das waren drei Sätze!)

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Ja, das waren aber drei gute Sätze.