Es geht um viel! Über Deutschland, Europa und die Türkei

17.02.2016

Der Namensbeitrag ist am 17. Februar in der Fuldaer Zeitung erschienen.

Ob sich die EU in der Flüchtlingsfrage von der Türkei erpressbar macht, will die FZ von mir wissen. Meine Antwort ist ebenso banal wie komplex: Ohne die Türkei geht es nicht. Als direkter Nachbar Syriens hat sie bereits mehr als 2,5 Millionen Flüchtlinge aufgenommen, ist Haupttransitland Richtung Europa.

Gemeinsam mit der EU sollen dort die Grenzen besser kontrolliert und Anreize für eine weitere Flucht nach Westeuropa verringert werden. Eine Reduzierung der Flüchtlingszahlen wie gerechte Lastenverteilung sind Ziele deutscher Politik. Mit Ankara darüber zu sprechen, ohne die Preisgabe der eigenen Werte, ist richtig und notwendig.

Deutschland ist wichtigster Handelspartner der Türkei, Tourismus-Magnet, bei uns leben fast 3 Millionen Menschen türkischer Herkunft. Es liegt auf der Hand: Partnerschaft ist keine Einbahnstraße, die Kanzlerin schon gar keine Bittstellerin. Auch die Türkei ist auf gute Beziehungen angewiesen.

Wahr ist auch: Die Türkei kann kein EU-Mitglied werden. Das Startzeichen der Regierung Schröder/ Fischer war falsch wie unehrlich. EU und Türkei führen Beitrittsgespräche, wollen den Beitritt aber nicht. Das vergiftet das Verhältnis. Wir brauchen eine ehrliche und enge Partnerschaft.

Erdogan hat ein autokratisches Regime aufgebaut. Meinungs-, Presse- und Religionsfreiheit werden mit Füßen getreten; Zivilgesellschaft unter Druck gesetzt. Vor allem auch die Christen unter Druck haben mich wiederholt zu Gesprächen in die Türkei geführt. In den nächsten Tagen werde ich wieder aufbrechen. Es darf keinen Menschenrechts-Rabatt geben, das muss gegenüber Partnern ausgesprochen werden.

Putin bombt gerade Zehntausende Richtung Türkei und Europa. Assads Fassbomben und Giftgas sind gnadenlos. Im türkischen Grenzgebiet leben in einigen Städten inzwischen mehr Syrer als Türken. Hier geht es um wirkliche Kriegsflüchtlinge. Europa kann die Türkei mit den Folgen nicht alleine lassen. Geografisches Pech? Dieses Urteil wäre zynisch, auch gefährlich. Eine destabilisierte Türkei wäre ein Sicherheitsrisiko, auch im Kampf gegen IS und andere Terroristen.

Der EU-Aktionsplan mit der Türkei sieht u.a. eine Abschaffung der Visumsfreiheit für jene Syrer vor, die nicht direkt aus Syrien kommen, sowie für weitere Staaten. Das hat Ankara akzeptiert, auch Rückführungen aus Westeuropa. An den Taten wird gemessen. Weitere Maßnahmen müssen folgen, auch gegen Schleuser.
Und die EU? 3 Mrd. Euro hat sie zugesagt, kein „schmutziger Deal“ – sondern konkrete Projekte für Nahrung, Unterkünfte, Ausbildung von Flüchtlingen. Gezahlt hat die EU nicht! Und von den vereinbarten 160.000 Flüchtlingen sind keine 500 in der EU verteilt. Wer glaubt, dass dies Vertrauen zwischen Ankara und Brüssel aufbaut, ist bestenfalls naiv.

Wenn in Osteuropa Regierungen Solidarität verweigern, die sie selbst gerne in Anspruch nehmen, braucht es Signale: Ihr bekommt künftig deutlich weniger Mittel aus EU-Strukturfonds, weil wir sie schlicht zur Bewältigung der Krise brauchen. Lasten müssen verteilt werden.

Wir alle wissen: Wenn wir die Ursache nicht bekämpfen, werden wir das Thema „Migration und Flüchtlinge“ nicht in den Griff bekommen. Als Vorsitzender des Ausschusses für Menschenrechte / Humanitäre Hilfe habe ich immer wieder gefordert im Süden der EU anzupacken. Ein deutscher Innenminister hat seinerzeit Appelle von Papst Franziskus lapidar kommentiert: „Lampedusa liegt in Italien!“ Erkunde Note 1, politisch eine glatte 5! Aufgewacht sind einige erst, als der Korken aus der Flasche geflogen ist.

Wenn Europa versagt, werden weitere Millionen sich auf den Weg machen. Wir brauchen Lösungen der Probleme, und keine Scheinlösungen. Vom EU-Gipfel in dieser Woche hängt einiges ab.

Angela Merkel hat Recht: Ein globales Problem kann nicht national gelöst werden. Auch Deutschlands Kräfte sind nicht unbegrenzt. Der Kleinmut mancher in Europa ist erbärmlich.

An Deutschland hängt Europa, ob wir wollen oder nicht. Und unser Wohlstand und unsere Stabilität hängen umgekehrt auch an Europa. Und Panik ist der schlechteste Ratgeber in gefährlicher Lage. Wenn andere die Nerven verlieren, müssen wir sie behalten. Denn es steht verdammt viel auf dem Spiel.