Nach einem Ukraine-Besuch übt der Fuldaer Wahlkreisabgeordnete Michael Brand (48) scharfe Kritik am Kanzler. Scholz müsse sich
endlich zu seiner Verantwortung für Frieden und Freiheit bekennen, fordert der CDU-Politiker.
Welche Eindrücke haben Sie in den vergangenen Tagen in der Ukraine gewonnen?
Mir fiel auf, dass es auf den Straßen in Kiew quasi keine Kinder mehr gibt. Es ist bedrückend. In den befreiten Städten um die Haupt¬stadt sieht man, wie gezielt und wie brutal Russland gegen Zivilisten, Wohnblöcke oder Schulen vorgeht. Dieser totale Krieg zeigt, dass Putin wirklich die Vernichtung der Ukraine will. Beim Rückzug haben die Russen sogar in Kinderspielzeug wie Kuscheltiere, auch in Waschmaschinen, Sprengfallen eingebaut, um nach Hause zurückkehrende Kinder und Familien zu töten - ob alt oder Kleinkind. Unfassbar.
Sie sind auch mit Menschen vor Ort ins Gespräch gekommen. Wie bewerten Sie die Haltung der Ukrainer?
Man kann nur bewundern, wie die Ukrainer ihr Land verteidigen. Der Stadt Irpin vor Kiew hat Präsident Selenskyj den Status „Stadt der Helden“ verliehen. Denn ohne den heldenhaften Kampf der Menschen in Irpin, die übermächtige russische Truppen aufgehalten haben, wäre Kiew gefallen.
Wie stellt sich die humanitäre Situation in der ukrainischen Hauptstadt dar?
Kiew ist relativ gut dran, aktuell nicht zu vergleichen mit den umkämpften Regionen des Landes. Die Brutalität der russischen Kriegführung, die keinen Stein auf dem anderen lässt, tobt sich im Süden und Osten der Ukraine voll aus. Wenn Deutschland die Ukraine nicht endlich schnell und effektiv mit schweren Waffen unterstützt, wird Putin sein Ziel doch noch erreichen.
Wie bewerten Sie aktuell die deutsche Hilfe für das von Putin überfallene Land?
Das Urteil ist international vernichtend. Mit seiner Blockade schadet Bundeskanzler Scholz dem Ansehen Deutschlands immens. Er muss endlich von der Bremse gehen und darf die zugesagten schweren Waffen nicht länger blockieren. Es war bitter zu sehen wie sehr wir in der Ukraine und international nicht mehr verstanden werden, nicht nur von der ukrainischen Seite, sondern auch von anderen in Europa, von Portugal bis ins Baltikum. Der Eindruck ist: Der Kanzler täuscht, trickst und tarnt.
Wie meinen Sie das?
Erst verspricht Scholz die Lieferung defensiver, auch schwerer Waffen. Die Regierung erklärt hinterher, die Lieferung könnte Monate brauchen. Dabei kann sich der Krieg bis zum Herbst deutlich ausweiten, eine Gefahr auch für Deutschland. Es gab immer neue Ausreden, mit immer einem Ergebnis: Deutschland liefert nicht, und es blockiert dazu noch andere wie Spanien. Putin sieht: der Westen ist schwach, er kann weiter gehen. Appeasement, also Nachgeben gegen¬über dem Diktator bei einem Krieg, das führt zu mehr Krieg. Schon Angela Merkel hat schwere Fehler gemacht, das dürfen wir nicht fortsetzen. Die Europäer fragen, ob und wann Deutschland sich seiner Verantwortung für Frieden und Freiheit in Europa stellt.
Hat Deutschland überhaupt die Ressourcen, um schnell schwere Waffen zum Beispiel aus Beständen der Bundeswehr zu liefern?
Das ist eine politische Nebelkerze der Bundesregierung. Es geht doch längst nicht um Waffen aus Beständen der Bundeswehr. Die Ukraine hat längst Verträge mit auch der deutschen Rüstungsindustrie. Doch die Lieferungen von Panzern müssen ja genehmigt werden. Und da blockiert Scholz, seit Monaten. Wie absurd es wird: die Regierung bietet mit den Flugabwehrpanzer Gepard an - das die Ukraine weder gefordert hat, noch überhaupt gebrauchen kann! Das grenzt an unterlassene Hilfe¬leistung, da stimmt etwas nicht.
Ihrer Ansicht nach ist Neutralität, wie von linker Seite gefordert, in diesem Konflikt also keine Option?
Bei Völkermord gibt es keine Neutralität. Es gibt das Recht auf Überleben. Und auf Selbstverteidigung, im Völkerrecht. In der Ukraine geht es doch klar um Frieden und Sicherheit für ganz Europa. Wir alle müssen aktiv verhindern, dass Putin ermutigt wird, den Krieg weiter zu treiben und den dritten Weltkrieg auszulösen. Neben militärischen sind auch diplomatische Schritte erforderlich. Wer glaubt, dass der Krieg aufhört, wenn man sich nicht wehrt, liegt gefährlich daneben. Die Geschichte, auch mit Putin selbst, zeigt: Appeasement bewirkt das Gegenteil, eine Ausweitung des Kriegs.
Lag hier auch ein Fehler der Regierungen unter Bundeskanzlerin Angela Merkel?
Leider ja. Die schwachen Reaktionen auf Putins Krieg gegen Georgien 2008 und die Ukraine seit 2014 haben Putin signalisiert, dass ein totaler Krieg gegen die Ukraine durchgeht. Das von Deutschland und Frankreich aufgezwungene Minsker Abkommen von 2014 hat einen Konflikt einfrieren wollen, aber Putin in seiner Aggression bestärkt. Das war Appeasement, das zu mehr Krieg führt; deshalb haben Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier hier große Verantwortung, auch Schuld zu tragen.
Aber Merkels Kurs fand doch lange Zeit große Unterstützung sowohl in der Bevölkerung als auch im Parlament...
Da gab es gab viel Wunschdenken, auch Bequemlichkeit, die Option, billiger Energie zu bekommen. Viele wollten die Gefahren auch nicht sehen. Doch Frieden und Freiheit sind Werte, die verteidigt werden müssen. Als ich vor Jahren für den Stopp der Gaspipeline Nord Stream 2 eintrat, galt ich als Außenseiter. Dabei war das nie ein rein wirtschaftliches Projekt. Inzwischen droht Pu¬tin mit Angriff auf das Baltikum, damit auf die NATO. Wir haben einen Faschisten genährt, der einen brutalen Überfall auf die Ukraine unternimmt. Um das zu stoppen, braucht es klare Haltung, auch von Deutschland.
Welche Bedeutung hat aus Ihrer Sicht der von EU-Kommissionspräsidentin Ur¬sula von der Leyen in Aussicht gestellte EU-Kandidatenstatus für die Ukraine?
Der Beitrittsstatus bedeutet Hoffnung für die Ukraine und ein starkes Signal – auch an Putin. Der Beitritt selbst würde ja lange brauchen. Auch hier hat der Kanzler sich nicht klar positioniert. Wird der Status verweigert, ist das auch ein Si¬gnal – auch an Putin, weitermachen zu können.
Immer wieder ist von einer Zeitenwende die Rede. Wie bewerten Sie Europas Perspektiven im Kräftemessen der Weltmächte?
Niemand sollte glauben, dass die Ukraine nicht auch global Auswirkungen hat. Diktator Xi Jingping in Peking beobachtet der sehr genau, was wir tun. Danach wird er entscheiden, ob er Taiwan überfällt. Die global größte Gefahr für den Frieden bleibt China. Wenn der freie Westen in der Ukraine versagt, dann wird das Regime in Peking das brutal nutzen. Das gilt auch für unsere Wirtschaft; das ist Teil der Zeitenwende. Der Begriff „Zeitenwende“ von Scholz trifft zu. Das Problem ist, dass der Bundeskanzler nicht danach handelt. So wie Europa und Deutschland die Abhängigkeit von Russlands Energie reduzieren, müssen wir unsere Abhängigkeit von China deutlich reduzieren. Naivität ist gefährlich, und die Macht des Stärkeren darf nicht eine neue, chinesisch dominierte Weltordnung definieren.
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