Bundestag verbietet Geschäftsmäßige Suizidbeihilfe - Rede von Michael Brand

06.11.2015
Beitrag

Michael Brand (CDU/CSU):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute ist ein besonderer Tag: Der Deutsche Bundestag entscheidet über ein sensibles Thema, das kein Weiß und kein Schwarz kennt, sondern viele verschiedene Facetten hat.

Nach über einem Jahr intensiver Debatte möchte ich vor allem mit einem Dank beginnen. Nicht nur hier im Parlament, sondern auch in vielen Veranstaltungen, quer durch unser Land, in Gesprächen in Familien und unter Freunden ist das Thema Sterben ein gutes Stück aus der Tabuzone geholt worden, sozusagen in die Mitte der Gesellschaft zurückgebracht worden. Es wird heute mehr über menschliche Sterbebegleitung gesprochen, über Ängste, über Hoffnungen. Oft waren es die Zwischentöne, die den Unterschied ausgemacht haben. Und manche sehr persönlichen Gespräche haben tief in uns etwas bewegt. Für diesen Zugewinn an Menschlichkeit können wir dankbar sein.

Gerade diese Gespräche und die Begegnungen haben gezeigt: Es wird so unendlich vieles an menschlicher Hilfe und an Zuwendung erbracht von Familienangehörigen, von Ehrenamtlichen, von Hauptamtlichen in Hospizen, in Krankenhäusern, in Pflegeeinrichtungen, in Palliativteams und an vielen anderen Stellen. Das ist beeindruckend und verdient unseren Respekt. Deswegen sage ich, sicherlich auch im Namen aller hier, einen tief empfundenen Dank für das, was tagtäglich in unserem Land an Mitmenschlichkeit geleistet wird.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei der heutigen Entscheidung ist es wichtig, dass wir alle wissen, worüber wir entscheiden, und auch, worüber wir nicht entscheiden. Die Hilfen stark ausbauen und den Missbrauch stoppen - das ist, kurz gesagt, das Kernanliegen unserer Gruppe mit Unterstützern aus allen Fraktionen.

Einen großen Schritt bei den Hilfen haben wir gestern beschlossen. Heute ist der Gesetzgeber aufgerufen, den Missbrauch zu stoppen, auch deshalb, weil es nicht vor allem nur um Kusch und Co. geht: Es geht im Kern um eine Verschiebung einer wichtigen Achse unserer Gesellschaft. Es geht auch um den Schutz von Menschen vor gefährlichem Druck durch gefährliche geschäftsmäßige Angebote zur Suizidbeihilfe.

Wir können diese Debatte zum Thema Suizidbeihilfe nicht zum Abschluss bringen, ohne den Grund für ihren Beginn zu beachten. Es stimmt, was ein profilierter Beobachter dieser Tage festgestellt hat - ich will das zitieren:

"Der Bundestag sollte sich wieder auf den Ausgangspunkt konzentrieren, der das Gesetzgebungsverfahren in dieser Frage ausgelöst hat. Gesetzgeberischer Handlungsbedarf ist dadurch entstanden, dass sich Anbieter in Deutschland etablieren, die geschäftsmäßig für Suizidassistenz werben und damit den Suizid fördern."

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht im Kern um die Alternative: eine maßvolle Änderung oder Laufenlassen mit der Konsequenz der Ausbreitung. Nach dieser Debatte bleibt nichts, wie es war, auch nicht nach dem heutigen Tag. Denn selbst wenn wir nichts entscheiden würden, hat unser Signal heute Auswirkungen auf die gesellschaftliche Entwicklung in dieser wichtigen Frage.

Der niederländische Autor Gerbert van Loenen hat dieser Tag gewarnt: Die deutsche Debatte erinnere ihn an die Anfänge der niederländischen Debatte. Er sagt rückblickend, dass in den Niederlanden gerade am Beginn entscheidende Fehler begangen wurden. Dass Angebot auch bei Sterbehilfe Nachfrage schafft, haben wir doch durch die Entwicklungen in den Nachbarländern erfahren; das hat sich dort gezeigt. Die Erfahrung lehrt auch, dass die angeblich engen Kriterienkataloge nicht halten.

Wenn wir heute nichts entscheiden würden, wäre die geschäftsmäßige Suizidbeihilfe deutlich gestärkt, sie würde sich weiter ausbreiten. Deshalb schlagen wir heute eine moderate Reglung vor, die sehr präzise nur dieses gefährliche Phänomen unterbindet. Dabei haben wir sehr genau darauf geachtet, dass ärztliche Freiräume erhalten bleiben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt Bereiche, in denen das Strafrecht schlicht schweigen muss. Der Gesetzgeber kann, und er sollte auch nicht jeden einzelnen Fall regeln wollen. Der Präsident der renommierten Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin, die Deutsche PalliativStiftung, der Deutsche Hospiz- und PalliativVerband und andere haben eindeutig bestätigt: Unser Gesetzentwurf beinhaltet keine Kriminalisierung von Ärzten.

(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)

Die Bundesärztekammer hat es in einem Schreiben an alle Abgeordneten - ich zitiere - nach „eingehender inhaltlicher und rechtlicher Prüfung“ ungewöhnlich klar formuliert: Die Behauptung der Kriminalisierung der Ärzte ist nicht wahr und - auch das zitiere ich - „dient ausschließlich der Verunsicherung der Abgeordneten und auch einiger Ärzte“.

Es ist uns im Gegenteil in den intensiven Beratungen der letzten anderthalb Jahre zu unserem Gesetzentwurf gelungen, präzise die Trennung zu ziehen zwischen zum Beispiel Ärzten, die in schweren Situationen nach ihrem Gewissen handeln, und anderen, die es darauf anlegen, geschäftsmäßig mit Absicht und auf Wiederholung angelegt die Suizidbeihilfe zu fördern. Wir brauchen stattdessen menschliche Zuwendung, manchmal sollte man einfach nur zuhören oder mal die Hand halten. Der Lebenswille kann auch dadurch dahinschwinden, wenn man sich einsam oder nicht mehr gebraucht fühlt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, jeder von uns kann einmal selbst in eine ausweglose Situation kommen. Die FAZ hat am gestrigen Donnerstag einen besonders eindrücklichen Fall veröffentlicht. Ich möchte ihn hier zum Schluss kurz beschreiben. Viele hier kennen den sehr anrührenden französischen Film Ziemlich beste Freunde. Der Film beruht auf der wahren Geschichte eines sehr erfolgreichen und bekannten Unternehmers, der nach einem Absturz beim Gleitflug vor 20 Jahren vom Hals abwärts komplett gelähmt ist. Er wollte deshalb nicht weiterleben, aber er fand laut seiner Aussage niemanden, der ihm beim Suizid half. Für einen derart gelähmten Menschen sei ein Suizid eben kompliziert zu bewerkstelligen. In diesen Tagen sagte er - auch das will ich zum Schluss zitieren -:

"Heute würde ich mein Leben niemals aufgeben wollen. Im Gegenteil: Die wiederkehrenden Debatten um eine Vereinfachung der Sterbehilfe ängstigen mich. Ich fürchte manchmal, unsere Gesellschaft könnte in ihrem Optimierungswahn einen Automatismus dieser Methode akzeptieren."

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Perspektivwechsel, dieses Beispiel eines sehr selbstbewussten Menschen zeigt: Niemand - niemand! - ist unter Druck vor Fehlschlüssen sicher. So wie wir gestern die Hilfen für sterbende Menschen deutlich gestärkt haben, so müssen wir heute den Schutz von Menschen in subjektiv auswegloser Lage stärken. Wir müssen diesen Schritt heute tun. Ich bitte Sie und ich bitte euch, ihn mit uns gemeinsam zu gehen.

(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)

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