Aussitzen zwecklos

30.05.2016

Die Kolumne "BRAND AKTUELL" ist am 28./29.5.2016 in der Wochenzeitung FULDA AKTUELL erschienen.

Nie gab es mehr Menschen, die Hilfe zum Überleben brauchen: 125 Millionen sind angewiesen auf humanitäre Hilfe, über 60 Millionen sind auf der Flucht – die höchste Zahl seit über 70 Jahren.

Diese größte humanitäre Krise seit dem 2.Weltkrieg war Grund für eine Premiere: den 1. Humanitären Weltgipfel der Vereinten Nationen. Rund 5.000 Vertreter von Staaten, Int. Organisationen, NGOs kamen am Wochenanfang in Istanbul zusammen. Als Vorsitzender des Bundestagsausschusses für Humanitäre Hilfe war ich Teil der deutschen Delegation unter Führung unserer Bundeskanzlerin.

Es geht hier um nichts weniger als um einen Paradigmenwechsel: Künftig muss es von einer reaktiven Hilfeleistung nach einer Krise deutlich mehr zu einem vorausschauenden Handeln zur Vermeidung von Krisen kommen.
Denn mit der zunehmenden Komplexität und Quantität humanitärer Krisen werden wir auch in Zukunft zu rechnen haben. Die dramatische Flüchtlingskatastrophe ist nur ein aktueller Ausdruck dessen, dass uns die humanitären Katastrophen in immer größerem Maße unmittelbar betreffen. Sie lassen sich nicht aussitzen. Im Gegenteil, die Folgen sind heute schneller bei uns.

In einer globalisierten und wechselseitig immer abhängiger gewordenen Welt wird man der Erkenntnis nicht entkommen: Nicht nur wirtschaftlich, sondern auch im Bereich humanitärer Katastrophen werden wir in Zukunft sehr viel stärker betroffen sein, als es vielen bisher bewusst ist und manche auch wahrnehmen wollen.

Wir werden uns damit nicht nur aus humanitären oder karitativen Gründen befassen müssen, sondern auch aus strategischen. Humanitäre Außenpolitik ist integraler Bestandteil der Sicherheitspolitik unseres Landes geworden. Sie dient der politischen Stabilität ganzer Regionen, auch der Sicherheit unserer eigenen europäischen Region.

Es geht also nicht nur um unser menschliches Mitleid – das vielleicht zuallererst –, sondern auch um unsere nationalen Interessen. Wenn es anderen gutgeht, dann geht es auch uns besser, und das auf Dauer.