
Michael Brand fordert von einer neuen Regierung ehrliche Lösungen statt Ideologie. Der Autor (43) ist direkt gewählter Bundestagsabgeordneter im Wahlkreis Fulda.
Ein offenes Wort: Andere hat es noch schlimmer erwischt, aber auch in der CDU/CSU kann niemand mit dem Ergebnis der Bundestagswahl zufrieden sein. Binnen weniger Monate war der deutliche Vorsprung geschmolzen. Ein wichtiger Grund: Wer auf Führung verzichtet, darf sich nicht wundern, wenn diejenigen, die man gewinnen will, sich am Ende anders orientieren. Ein Wahlkampf, der weitgehend darauf verzichtet, konkret Stellung zu beziehen, reicht nicht aus.
Es ist wahr: Nie ging es so vielen Leuten in Deutschland so gut wie heute, nie gab es so viel Beschäftigung und wir haben besser als jedes andere europäische Land die Finanzkrise von 2008 überstanden. Andererseits gibt es die nicht sicheren europäischen Aussichten, Stichworte sind Griechenland, Zuwanderung und gefährlicher Nationalismus, nicht nur in Frankreich, in Großbritannien, auch bei uns. Dazu kommt, dass trotz aller gestiegenen Kaufkraft, trotz aller Rekorde selbst bei der Prognose zur wirtschaftlichen Entwicklung eben auch Menschen im Schatten leben, die von der Entwicklung abgekoppelt sind.
Zu wenig wurde beachtet, dass es auch die gibt, die trotz harter Arbeit zu wenig haben, um ohne große Probleme über die Runden zu kommen. Das sind Menschen, die nicht nur unseren Respekt und unsere Aufmerksamkeit verdienen. Wir müssen auch hier konkrete Lösungen finden, die nicht größere Teile der Bevölkerung außer Acht lässt.
Die Berliner Sondierungen müssen zwingend darauf achten, keine Luftschlösser zu bauen, deren Fundamente vor allem aus Ideologie und Ignoranz bestehen. Natürlich sind wir alle für den Klimaschutz und wollen die Zukunft unseres Planeten nicht riskieren. Aber es darf nicht gleich eine ganze Schlüsseltechnologie wie der Verbrennungsmotor aus ideologischen Gründen verschrottet werden. Es gilt noch immer, die Gesetze der Physik sind wichtiger als die Gesetze der Politik.
Auch beim Thema Schulden und Haftung darf man Irrwegen nicht folgen. Zwar greifen die deutschen Steuerzahler schon mit Milliarden an Bürgschaften unter die Arme - was bei Irland, Portugal und Spanien schon funktioniert hat, und was selbst in Griechenland langsam greift. Das ist aber kein Grund, den Bogen zu überspannen. Es kommt nach wie vor auf Substanz und ernsthafte Reformen an. Verlagerung von Verschuldung und politischer Verantwortung wäre das Gegenteil davon.
Wenn auch das Thema Migration und Flüchtlinge an Brisanz abgenommen hat, so ist es natürlich lange nicht vorbei. Das EU-Türkei-Abkommen hält zwar, und bei der Bekämpfung von Fluchtursachen kommen wir Schritt für Schritt voran. Aber es ist nicht einmal Mittelstrecke, sondern ein Marathon, den wir in Europa vor uns haben.
Bei diesem Thema ist es wie bei den anderen Themen in unserer Ära der Globalisierung: Ohne die Bündelung europäischer Kräfte sind wir vielen Problemen hilflos ausgeliefert. Dabei brauchen wir Kompromisse mit Partnern. Die Kurzformel lautet: Wer heute gegen Europa ist, der schadet deutschen Interessen. Denn niemand wird glauben, dass wir uns gegen China, Indien und anderen Länder in Asien oder auch gegen ein immer protektionistischeres Amerika alleine würden behaupten könnten. Wer heute behauptet, alleine im Nationalstaat liege das Heil, der hat nichts begriffen vom gewaltigen globalen Wandel - oder er belügt mit Absicht die Bürger.
Wer allerdings aus ideologischen Gründen die Bedenken und Sorgen der Leute einfach beiseite wischt, der handelt nicht nur arrogant - er vergeht sich auch an demokratischen Grundsätzen. Wer politische Verantwortung trägt, der steht in der Pflicht, Dinge ordentlich zu erklären.
Wenn in dieser Woche in Berlin weiter sondiert wird, dann geht es genau um das. Es geht um verantwortliche Analyse und das ernsthafte Ausloten, ob eine Koalition der drei so unterschiedlichen Partner für unser Land mehr Nutzen bringt als Stillstand oder Rückschritt. Es geht also nicht um die Koalition um jeden Preis, es geht zuerst um die Leute und das Land. Es geht, um es klar zu unterscheiden, um Deutschland und nicht um „Jamaika“. Das, und nicht Spiel mit Worten oder Farben, muss Maßstab sein.
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