Über Grenzen, Eisköniginnen und Mutter Teresa

21.10.2015
Beitrag

Der Namensbeitrag ist am 21. Oktober in der Fuldaer Zeitung erschienen:


Forderungen nach neuen Mauern, höheren Grenzzäunen und nach Abschottung, Hass predigen bei Pegida mit öffentlichen Galgen für Kanzlerin und Vize-Kanzler, Drohungen gegen Kommunalpolitiker, gezielter Mordanschlag auf die neue Kölner Oberbürgermeisterin, weil sie für die Unterbringung von Flüchtlingen zuständig war.

Zeichen der Radikalisierung, wenn auch einer Minderheit, muss man sehen. Die falschen Folgerungen daraus zu schließen, wäre gefährlich.

Ja, wir haben das eine oder andere, auch ernste, Problem. Und ja: Viele Menschen hier bei uns machen sich angesichts der Größe dieser Dimension Sorgen. Aber wahr ist auch: Diese Sorgen möchten die Menschen in Syrien, im Irak oder in den Flüchtlingslagern einmal haben!
Wir leben in dem Teil der Welt, den man auch das christliche Abendland nennt. Und man ist nicht weltfremd, wenn man dazu feststellt: Gerade in Situationen mit Problemen gilt der christliche Kompass, gerade dann kommt es auf die helfende Hand an.

Neben Gastfreundschaft braucht es zur Bewältigung klare Analyse und entschiedenes Handeln. Der Bundestag hat in der letzten Woche die größte Verschärfung des Asylrechts seit den 90er Jahren beschlossen. Es beinhaltet Maßnahmen wie Leistungskürzungen, Beseitigung von Fehlanreizen, notwendige Beschleunigung von Verfahren, zügigen Bau von Unterkünften sowie die frühe und umfassende Integration derer, die schutzwürdig sind sowie die schnelle Rückführung derjenigen, die keinen Schutz in unserem Land genießen können.

Auch weitere Maßnahmen müssen ohne Tabu diskutiert werden wie länderspezifische EU-Kontingente mit Obergrenzen oder Transitbereiche an unseren Grenzen, wo schnell die Schutzbedürftigkeit der Asylsuchenden geklärt, auch eine umgehende Zurückweisung möglich wird. Die Vorschläge der CDU/CSU werden im Bundestag noch abgelehnt, so war es mit den sicheren Herkunftsländern, die jetzt endlich beschlossen wurden.

Europa, auch Deutschland, befindet sich in einer akuten Belastungsprobe. Die Zahl der Flüchtlinge, die zu uns kommt, muss verringert und die EU-Außengrenzen besser geschützt werden. Das ist nur möglich, wenn wir auf europäischer und internationaler Ebene schnelle Fortschritte erzielen. Und: In der EU müssen Lasten fair geteilt werden.

Weder Schaum vorm Maul, schon gar nicht Hetze oder Gewalt, aber auch nicht Blindheit vor den Problemen werden bei der Lösung helfen. Wenn wir die Ursache nicht bekämpfen, werden wir sie nicht in den Griff bekommen. Hilflose Maßnahmen wie in Slowenien zeigen, einfache Antworten funktionieren nicht.

Die Türkei hat als direkter Nachbar Syriens mehr als 2 Millionen Flüchtlinge aufgenommen, ist Haupttransitland Richtung Europa. Gemeinsam mit der EU sollen dort die Grenzen besser kontrolliert und Anreize für eine weitere Flucht nach Westeuropa verringert werden. Mit Ankara darüber zu sprechen, ohne Preisgabe der eigenen Werte, ist notwendig.

Klar ist: Auch Deutschlands Möglichkeiten sind endlich. Es geht nicht allein um die Flüchtlinge, es geht auch um unser Land, letztlich auch um Sicherheit. Wir müssen die Probleme lösen, und sie nicht nur beschreien.

Und die Kanzlerin? Im Sommer titelte ein Nachrichtenmagazin „Die Eiskönigin“, als sie dem Flüchtlingsmädchen Reem erklärte, das Politik auch „manchmal hart“ ist und Deutschland nicht alle Flüchtlinge aufnehmen kann. Wenige Wochen später ist sie als Mutter Teresa auf einem Titel zu sehen. Auch Medien neigen zu manch dummer Vereinfachung, so schlicht ist die Welt nicht. Manch richtige Geste hat mitnichten eine Flüchtlingswelle ausgelöst. Die war längst unterwegs. Und selbst wenn wir nicht so reagiert hätten, würde uns das Thema heute beschäftigen.

Deutschland und Europa schützt man nicht vor ungebremster Zuwanderung, indem man die Grenzen verdichtet, eine harte Rhetorik auflegt, und die Probleme konsequent ignoriert.

Wir brauchen jenseits des Krisenmechanismus eine neue Sicht auf die sich dynamisch verändernde Welt. Wer jetzt behauptet, er habe darauf schon alle Antworten, der hat entweder null Ahnung oder null Respekt vor der Wahrheit. Wir müssen uns darauf einstellen. Dabei gilt Zuversicht. Wir haben größere Herausforderung bestanden – und wir sind dadurch stärker geworden.

Autorenzeile

Michael Brand beschreibt Lösungsansätze in der aktuellen Flüchtlingskrise. Der Autor (41) ist direkt gewählter Bundestagsabgeordneter im Wahlkreis Fulda.