Raif Badawi freilassen! Debatte im Bundestag

28.01.2016

Nicht nur Beschlüsse gegen die Gefahren des Islamismus im Inland, sondern auch eine klare Haltung gegen Islamismus im internationalen Bereich ist erforderlich. Am Beispiel Saudi-Arabiens und des Bloggers und Sacharow-Preisträgers Raif Badawi hat der Deutsche Bundestag hier klar Position bezogen. Meine Rede aus der heutigen Debatte, in der sich manch unbequeme Wahrheit findet, hier im Wortlaut. Wenn wir den Islamismus auf der Welt als Bedrohung gegen unsere Art zu leben nicht auch offensiv angehen, werden wir oder spätestens unsere Kinder dafür einen Preis bezahlen.

 

Plenarprotokoll, Plenum des Deutschen Bundestages am 28. Januar 2016

Michael Brand (CDU/CSU):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die Lage Saudi-Arabiens wird wie in einem Brennglas in einem besonderen Fall fokussiert, nämlich dem des Bloggers und Sacharow-Preisträgers, über den wir hier heute exemplarisch diskutieren: Raif Badawi. Ich bin mit seiner tapferen Frau Ensaf Haidar mehrfach zu für mich sehr beeindruckenden Begegnungen zusammengetroffen; wir sind auch im Gespräch mit dem Auswärtigen Amt. Es ist erwähnt worden: Raif Badawi ist im Patenschaftsprogramm PsP des Deutschen Bundestages, so wie im Übrigen Leyla Yunus aus Aserbaidschan, die mit Unterstützung auch aus Deutschland vor einigen Tagen freigelassen werden konnte. Unser Ziel hier im Parlament ist klar: Wir wollen die Freiheit dieses mutigen Mannes erreichen, und wir wollen die weitere Vollstreckung des mittelalterlichen, schlicht barbarischen Urteils von 1 000 Peitschenhieben endgültig stoppen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Ensaf hat in ihrem Buch Freiheit für Raif Badawi, die Liebe meines Lebens beschrieben, was sie empfand, als sie die illegal gefilmten Aufnahmen dieser abscheulichen Tat sah. Ich will das hier zitieren, um die Barbarei vor Augen zu führen:

"Wieder war Raifs Rücken zu sehen, der unter der Wucht der Hiebe erzitterte, die ihm einer der Sicherheitsleute verabreichte. Der Mann selbst war auf dem Video nicht zu erkennen. Aber ich sah deutlich, dass er mit voller Gewalt zuschlug. Raifs Kopf hing gebeugt nach unten. In sehr schneller Abfolge kassierte er die Hiebe auf dem gesamten hinteren Teil seines Körpers."

Sie schreibt weiter:

"Das war zu viel für mich. Es ist unbeschreiblich, dabei zuzusehen, wie dem Menschen, den man liebt, so etwas angetan wird. Ich spürte den Schmerz, den sie Raif zufügten, als ob er mein eigener sei: Ebenso gut hätten die Männer, die ich im Video gesehen hatte, mich selbst auf einen Platz stellen und auspeitschen können. Das Schlimmste jedoch war das Gefühl der Hilflosigkeit."

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Welt lebt im Jahr 2016. Aber die Islamisten in Saudi-Arabien - nichts anderes ist die Sekte der Wahhabiten in Saudi-Arabien - leben nicht in unserer Welt. Feudaler Pomp und Hightech-Fassade können eben nicht darüber hinwegtäuschen: Saudi-Arabien lebt politisch, geistig und religiös im Mittelalter.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Aber es ist nun einmal so, und deshalb bleibt es tatsächlich alternativlos: Es braucht massive Veränderungen am Golf, wenn dauerhaft Frieden auf der von Krieg und auch Genozid geprägten arabischen Halbinsel einkehren soll. Ja, dazu braucht es Saudi-Arabien. Dazu braucht es aber ein modernisiertes Saudi-Arabien. Das Schicksal von Raif Badawi ist dabei zum Kristallisationspunkt geworden. Der internationale Druck wirkt, auch wenn das Regime dies von sich weist. Ensaf Haidar schreibt zu Recht - auch das zitiere ich -:

"Raif ist zu einer Art Staatsaffäre geworden. Sie macht eine Fortsetzung des Strafvollzugs heikel."

Liebe Kolleginnen und Kollegen, allerdings hat das feudal-religiöse Regime in Saudi-Arabien noch immer nicht den Ernst der eigenen Lage verstanden. Auch dazu möchte ich die Frau von Raif Badawi zitieren, die formuliert, was auch ihr inhaftierter Mann in seinen Blogs vielfach betont hat - ich zitiere -:

"Andererseits fürchtet das Land seine aufmüpfige Jugend - und möchte ihr gegenüber das Signal aussenden, dass es mit harter Hand gegen Blogger und Andersdenkende vorgeht. Wie dieses interne Ringen ausgeht, ist noch nicht abzusehen."

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, mit Blick auf Syrien, Irak, Libyen und andere Krisen auf der arabischen Halbinsel gilt: Wer Genozid, die Kriege und die daraus resultierenden Fluchtbewegungen beenden will, der muss mit allen reden. Das gilt leider auch für ein Regime wie das saudische. Dabei gilt aber auch: Saudi-Arabien ist sicher kein Freund. Deutschland kann sich keine Freunde leisten, die das, was uns heilig ist, so brutal verachten: die Rechte der Menschen, die Menschenrechte.

Wenn wir aber diesen Drahtseilakt schon vollführen müssen, dann kommt es umso mehr darauf an, vorsichtig und umsichtig zu sein. Niemand darf sich missbrauchen lassen; niemand darf diesen Regimen zu distanzlos begegnen. Regierungskontakte sind das eine. Sie bleiben in fast jeder Lage erforderlich; das weiß doch auch jeder. Darüber hinausgehende Gesten - auch das will ich sagen - müssen sorgfältig gewählt werden. Zu hoch bleibt das Risiko der symbolischen Stärkung brutaler Regime, die Gefahr der Schwächung der Opposition, im Übrigen auch der Preisgabe unserer eigenen Glaubwürdigkeit in Sachen Menschenrechte. Realpolitik darf die schlimme Realität der Menschenrechte in Saudi-Arabien eben nicht ausblenden. Natürlich wünschen sich auch die Menschen in Saudi-Arabien eine Gesellschaft mit menschlichem Gesicht und nicht eine mit sogar öffentlich zur Schau gestellter Barbarei. Raif Badawi ist zum Symbol für Zigtausende Fälle in diesem Land geworden. Sein Fall ist im Übrigen ein starker Beleg dafür, dass in Saudi-Arabien keineswegs ein mittelalterliches Regime als gottgegeben hingenommen wird, wie uns manche weismachen wollen, um ihre eigenen Interessen zu schützen.

Ich zitiere noch einmal Ensaf Haidar:

"Auch wenn sich die internationale Aufmerksamkeit im Moment stark auf Raif fokussiert, dürfen wir doch nie vergessen, dass er auch stellvertretend für alle anderen politischen Gefangenen steht, die in Saudi-Arabien unter härtesten Bedingungen im Gefängnis sitzen, weil sie auf die eine oder andere Weise für Menschenrechte und Meinungsfreiheit eingetreten sind. ... Aber eigentlich hat Raif immer dafür gearbeitet, etwas am politischen System in unserem Vaterland zu verändern. Deshalb ist er ja im Gefängnis gelandet - und mit ihm noch viele andere mutige Männer und Frauen aus Saudi-Arabien."

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das saudische Königshaus bleibt in seinem Bestand gefährdet. Mit mittelalterlicher Brutalität und Dogma, auch mit Massenexekutionen auf die Auswirkungen des Internets zu reagieren, das muss einfach schiefgehen. Ohne eine echte Öffnung und das Beenden der Repression wird das Königshaus nicht überleben.

Saudi-Arabien hat sich auch international isoliert, hat durch religiösen Imperialismus und das Sponsern des internationalen Terrorismus viele Partner verprellt. Die Rückkehr des Irans als selbsternannte Schutzmacht der Schiiten auf die politische Weltbühne mit seiner ebenfalls hegemonialen Politik bedeutet eine direkte Bedrohung der mittelalterlichen Wahhabiten auf der anderen Seite des Golfs.

Es bleibt enorm wertvoll, wenn Deutschland als ehrlicher Makler versucht, einen echten Beitrag beider Länder zur Stabilisierung der Lage in Syrien, im Irak und anderswo zu erreichen, so schwer dies auch bleibt. Das allerdings - ich wiederhole das - darf nicht ohne Umsicht geschehen. Weil auf
außenpolitischem Parkett jeder Schritt auf seine Nebenwirkungen überprüft werden muss, gilt dies auch für die Menschenrechte.

Der Besuch in Riad und in Teheran ist wichtig und richtig. Ein Besuch auf Prestigeveranstaltungen für die Regime, ob in Saudi-Arabien oder im Iran, wäre dabei grundfalsch. Für Menschenrechte und die Beendigung von Krieg muss man manche Kröte schlucken. Einen Fehler darf man dabei aber nicht begehen, nämlich sich vor den Karren von Regimen spannen zu lassen, um deren Brutalität mit dem guten Namen unseres Landes zu verbrämen.

Die Welt ist spätestens durch den Fall Badawi aufgewacht. Die neue saudische Führung braucht klare Signale, dass eine Öffnung auch für sie überlebenswichtig ist. Peitsche und Mittelalter bedeuten im 21. Jahrhundert auch für eine lange Dynastie das baldige Ende.

Wir alle hier im Deutschen Bundestag sind uns einig in den Grundwerten der Menschenrechte. Daher lautet die gemeinsame Forderung an die saudische Führung: Raif Badawi muss sofort aus der Haft befreit werden. Wir erwarten, dass beim Besuch des deutschen Außenministers hierzu eindeutige Signale gesetzt werden. Die saudische Führung muss jetzt diese Zeichen der Öffnung und der Verständigung setzen. Erst dann wird auch vonseiten der internationalen Gemeinschaft mehr möglich, um den Weg der Öffnung zu begleiten.

Muslime, Christen und andere setzen immer auch auf das Prinzip Hoffnung. Denn wir glauben an das Gute im Menschen, und zwar auch deshalb, weil wir eben nicht mehr im Mittelalter leben.

Ich möchte meine Rede damit beenden, dass ich einer Hoffnung Ausdruck verleihe. Es ist die Hoffnung eines Kindes, das seinen unschuldig inhaftierten Vater wiedersehen will. Der kleine Sohn von Raif Badawi, Dodi, hat in Kanada seiner Mutter beschrieben, wie er sich das vorstellt:

"Manchmal male ich mir zusammen mit den Kindern den Tag aus, an dem wir Raif am Flughafen in Montreal abholen und zu uns nach Hause bringen werden. Dodi hat mir anvertraut, dass er dann - wie im Film - in Zeitlupe auf ihn zugehen und in seine Arme schweben wird."

Liebe Kolleginnen und Kollegen, arbeiten wir daran, dass sich der Traum dieses Kindes erfüllt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)