Michael Brand "Wir haben damit die Chance, dass wir im Sommer endlich andere Zeiten sehen"

22.04.2021
Interview

Das Interview ist am 22. April 2021 auf Osthessen-News erschienen.

Die Entscheidung über die "Bundes-Notbremse" in Sachen Corona-Bekämpfung steht fest: Am Mittwoch hatte die Mehrheit im Bundestag für eine deutschlandweite einheitliche Linie gestimmt. Der heimische Abgeordnete Michael Brand erklärt im exklusiven Gespräch mit OSTHESSEN|NEWS die Regeln und genauen Hintergründe. Das Gesetz soll am Donnerstag schon durch den Bundesrat, um dann zügig in Kraft zu treten.

Herr Brand, es gibt den Satz: Kein Gesetz kommt in Bundestag rein, wie es am Ende rausgeht. Die aktuelle Änderung am Bevölkerungsschutzgesetz, das ja auch den Infektionsschutz regelt, hat viele Diskussionen hervorgerufen. Es gab dann eine Reihe Änderungen an der Vorlage. Was sind die Gründe für diese Änderungen?

MB: Ja, auch ich habe viele Zuschriften bekommen, viele Gespräche geführt und mich mit vielen Leuten aus der Praxis besprochen. Vieles davon habe ich mit in die Beratungen eingespeist. Wir haben als Bundestag jetzt erstmals eine bundeseinheitliche Linie für die Pandemiebekämpfung beschlossen. Natürlich können die Länder auch weiterhin im Rahmen dieser Linie ihre eigenen, teils schärferen Regelungen beschließen. Uns ging es um die Festlegung und auch die Einheitlichkeit der Mindeststandards, die allerdings wegen der Eingriffe in die persönliche Lebensführung auf zehn Wochen, bis zum 30. Juni, befristet sind. Der Bundestag bleibt also wachsam und gibt keine langfristigen Ermächtigungsgrundlagen. Und es braucht die explizite Zustimmung des Bundestages, auch das wurde geändert und die Rechte des Parlaments wurden gestärkt.

Was sind die Bereiche, die uns als Bürger direkt betreffen?

MB: Da gibt es in der Tat eine ganze Reihe, denn es ist ein ganzes Maßnahmenbündel. Die Bestimmungen sind differenziert, um sie an die entsprechenden Lebensbereiche anzupassen, wie es ja bisher auch schon war. So muss für Schulen eine andere Regelung getroffen werden als für den Einzelhandel, und wiederum andere Regelungen für die private Umgebung.

Was hat sich denn im Vergleich zur Vorlage des Gesetzes verändert?

MB: Es gibt kein undifferenziertes Fallbeil ab der Inzidenz 100, mehr Freiheiten bleiben möglich. Wir haben vor allem sehr konkrete, praxisnahe Änderungen beschlossen. So gibt es durchgehend die Möglichkeit, vorbestellte Ware im Einzelhandel abholen zu können, also "Click & Collect". Das ist für viele Einzelhändler in dieser sehr lang andauernden Krise existenziell wichtig. Außerdem kann man bis zu einer Inzidenz von 150 mit negativem Corona-Test auch Einzelhändler besuchen, auch das ist für die Geschäfte die zentrale Voraussetzung dafür, dass sie Produkte und Dienstleistungen anbieten und Umsatz erzielen können ("Test & Click & Meet"). Unter dem Gesichtspunkt der Gesundheit ist dies mit negativem Test und Hygienekonzept verantwortbar möglich. Dass bei hohem Infektionsgeschehen nicht jedes Bundesland unterschiedlich regelt, sondern es bundeseinheitliche Schutzmaßnahmen gibt, soll den Kampf gegen das Virus stärken.

Und bei der Ausgangssperre?

MB: Wichtig sind auch die Regelungen im privaten Bereich. So wird es jetzt möglich bleiben, als Einzelperson bis Mitternacht vor die Tür zu gehen. Das sprichwörtliche "Rausgehen an die frische Luft" ist ja nicht nur gesund, sondern in der Pandemie doppelt wichtig. Die Ausgangssperre von 22 Uhr bis 5 Uhr ist etwas, was es in anderen Ländern viel strikter und strenger gab und gibt als es bei uns der Fall sein wird. Dennoch hilft nichts so stark, um die Infektionen abzubremsen und nach unten zu drücken, wie die konsequente Reduzierung von Kontakten, denn das Virus überträgt sich nun einmal von Mensch zu Mensch. Nachbarländer wie Großbritannien und Portugal haben die stark angestiegenen Infektionszahlen und Intensivstationen vor allem dadurch bekämpft, dass sie konsequent auf Ausgangssperren ausschließlich im privaten Bereich gesetzt haben, aber dafür ganztägig, mit Ausnahme der Geimpften.
Im Bereich der Schulen haben wir eine andere Inzidenz, nämlich 165, festgelegt, um sowohl dem Schutz der Gesundheit als auch dem Bedürfnis nach Präsenzunterricht in einer ausgewogenen Entscheidung Rechnung zu tragen.
Man kann immer über jede Ziffer und jede Zahl diskutieren, aber wir haben uns intensiv beraten lassen und nach bestem Wissen und Gewissen die jeweiligen Entscheidungen getroffen.

Nun gibt es Kritiker, die bereits Klage vor dem Bundesverfassungsgericht angekündigt haben und die Rechtsgrundlagen für diese neuen Regelungen für sehr unsicher halten. Was sagen Sie dazu?

MB: Darauf ist bei den Änderungen ebenfalls geachtet worden. Nicht zuletzt ist die Befristung ein wichtiges Mittel, um diese starken Grundrechtseingriffe auch unter rechtlichen Gesichtspunkten als angemessen betrachten zu können. Die beiden Bundesministerien, die die Verfassungsmäßigkeit prüfen, nämlich das Bundesinnenministerium und das Bundesjustizministerium, haben nach sorgfältiger Prüfung bestätigt, dass wir bei den ja schon vorher angekündigten Klagen vor dem Verfassungsgericht gut bestehen können.

Was sagen Sie eigentlich den Leuten, die nun seit über einem Jahr von der Pandemie geplagt werden und doch auch einen Zickzackkurs der Politik zu beobachten und zu beklagen haben?

MB: Denen möchte ich sagen: Auch ich bin ein ganz normaler Mensch - und auch mich strengt das ganze Hin und Her wirklich extrem an. Nun kann und will ich mich als Abgeordneter nicht vor den Entscheidungen drücken und ich kann auch nicht nur über die Entscheidungen klagen, sondern muss sie selbst mit treffen. Und ich muss sie dann auch vertreten, wenn ich kein Feigling sein will und dafür bin ich nicht bekannt.
Dann möchte ich dazu sagen, dass selbst dieses Gesetz natürlich nur dann seine Wirkung entfalten kann, wenn möglichst viele aus der Bevölkerung wirklich mithelfen. Würden alle sich ideal verhalten, bräuchten wir nicht einmal eine gesetzliche Grundlage, aber in einer idealen Welt leben wir nun einmal nicht.
MB: Und als wichtigste Nachricht möchte ich sagen, dass wir eine enorme Steigerung der Impfungen verzeichnen können, und dass wir mit der Kombination aus diesen Impfungen und den jetzt beschlossenen Maßnahmen eine reale Chance haben, dass wir im Sommer endlich andere Zeiten sehen. Ich weiß, dass selbst die Ankündigung von besseren Zeiten inzwischen auf Skepsis stößt. Aber erstens habe ich angesichts des steigenden Impftempos – mit Rekord-Impfungen von über 700.000 Menschen am Tag – Grund für Optimismus, und zweitens dürfen wir uns nicht diesem verdammten Virus ergeben, sondern müssen durchhalten, um die Pandemie zu besiegen. Dazu gibt es nun wirklich keine Alternative.