Größte Bedrohung für Freiheit und Frieden

31.10.2022
Interview

Michael Brand über das chinesische Regime und Deutschlands Solidarität mit Taiwan.
Das Interview ist in der Fuldaer Zeitung am 29.10.2022 erschienen.

China schottet sich unter dem allmächtigen Staats- und Parteichef Xi Jinping immer stärker ab, die Rhetorik nicht nur gegenüber Taiwan wird aggressiver. Wie haben Sie bei Ihrem Besuch in Taipeh die Lage in dem demokratischen Inselstaat erlebt?

Beeindruckend finde ich, dass die Menschen sich von der Bedrohung eines militärischen Überfalls nicht ihren Alltag bestimmen lassen. Taiwan ist eine lebendige Demokratie und eine sehr pulsierende Gesellschaft. Im Übrigen eine wirtschaftlich sehr starke.

Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen bietet der Führung in Peking die Stirn. Welche konkreten Forderungen an Deutschland hat sie im Gespräch mit Ihrer Delegation geäußert?

Die Präsidenten agiert klug. Sie hat keine Forderungen gestellt, sich aber für die guten Beziehungen bedankt. Taiwan exportiert viel in die EU, darunter 80 % der Chips, ohne die Maschinenbau, Autoindustrie und Chemie nicht funktionieren, selbst Infrastruktur kaum. Ein Freihandelsabkommen der EU mit Taiwan, wie es auch aus dem Europäischen Parlament gefordert wird, wäre ein wichtiger Schritt.

China hat auf Ihren Besuch in Taiwan erwartbar verärgert reagiert. Ist es angesichts der ohnehin angespannten Weltlage klug, den chinesischen Drachen weiter zu provozieren?

Internationale Politik lebt stark von richtigen Signalen. Wären Putin zur Ukraine klare Signale geschickt worden, gäbe es den Krieg nicht. Als Joe Biden 2015 als Vizepräsident um Zustimmung zu Verteidigungswaffen an die Ukraine warb, war Angela Merkel dagegen: Das könne Putin wütend machen. Das Ergebnis ist bekannt. Putin und Xi sind nicht wie wir. Wenn sie uns für schwach halten, werden sie nur dreister. Taiwan nicht zu besuchen, macht Krieg wahrscheinlicher, die Besuche sind wichtige Signale und tragen zum Erhalt des Friedens bei.

US-Präsident Joe Biden hat Taiwan US-Truppen zur Verteidigung des Inselstaates zugesagt. Wie weit könnte Deutschlands Unterstützung in diesem Konflikt gehen?

Deutschland muss gemeinsam mit EU und USA, Indien sowie Partnern im Indo-Pazifik vorab klarmachen, dass ein Überfall für China politischer Selbstmord wäre. Denn das vom Export abhängige China würde durch Sanktionen des Westens rasch zusammenbrechen. Nur diese Drohung übrigens hält Xi Jinping aktuell davon ab, Putins Krieg zu unterstützen.

Trotz der demokratischen Grundordnung wird in Taiwan noch immer die Todesstrafe verhängt. Haben Sie die Problematik gegenüber Präsidentin Tsai Ing-wen thematisieren können?

Ja, das war klar Thema. Demokratie ist keine Garantie gegen Todesstrafe, 90 % der Taiwanesen befürworten sie. In fast allen asiatischen Ländern gibt es ein anderes Verständnis als in Europa. Die Regierung hat eine Strategie für notwendige Veränderungen. China übrigens vollstreckt die meisten Todesurteile weltweit.

Bundeskanzler Olaf Scholz reist kommende Woche nach China. Ein heikler Zeitpunkt! Welche Signale sollte der Sozialdemokrat gegenüber der chinesischen Führung senden?

Vor allem darf Deutschland nicht ängstlich und klein wirken. Die EU ist wirtschaftlich stärker als China, und China braucht uns zum Überleben. Scholz kann und muss mit fester Haltung über Wirtschaft, zu Taiwan und über Menschenrechten reden. Wollen wir ernst genommen werden, muss Scholz klarer werden. Das wird auch immer mehr in der Wirtschaft erkannt.

War es vor dem Hintergrund der aktuellen Spannungen um Taiwan richtig, dem chinesischen Staatskonzern Cosco den Einstieg beim Hamburger Hafen zu gestatten?

Das Thema ist unabhängig von der aktuellen Lage. China versucht sehr strategisch, weltweit Kontrolle über wichtige Infrastruktur zu gewinnen. Davor warnen der Verfassungsschutz, der Bundespräsident und sechs Bundesministerien. Nur der Bundeskanzler nimmt das nicht ernst - ein einzigartiger Vorgang, ein echtes Sicherheitsrisiko. Herr Scholz ist Bundeskanzler, nicht mehr Bürgermeister von Hamburg. Er darf unsere nationalen Interessen nicht gefährden.

Droht Deutschland, das seinen Reichtum nicht zuletzt dem freien Welthandel verdankt, angesichts des zunehmenden Protektionismus, der wirtschaftliche Abstieg?

Deutschland darf diese wirtschaftliche Zeitenwende nicht vermasseln. Die Haltung des Bundeskanzlers zu China und Russland bringt uns in Konflikt mit EU, USA und anderen im Westen - wohin 90 Prozent unserer Exporte gehen. Verfestigt sich das Bild, Deutschland wäre gegen seine Partner, nur auf eigenen Profit aus, verlieren wir strategische Partner, Märkte - und Jobs. Scholz steht hier sehr unter Beobachtung.

Außenminister Annalena Baerbock pocht darauf, die wirtschaftliche Zusammenarbeit enger an westliche Werte zu koppeln. Wie kann Deutschland seine Abhängigkeit von chinesischen Firmen und Rohstoffen reduzieren?

Wir müssen uns sehr umstellen. Denn viele sagen inzwischen das Ende von Chinas Wachstum voraus. Das Konzept des Regimes, alles mit Schulden zu finanzieren, hat zu einer Finanzkrise geführt, viele befürchten einen Crash. Die Bevölkerung schrumpft gewaltig, mit enormen Folgen für Wirtschaft und Stabilität. China wird weiter exportieren, weil sonst die Existenzgrundlage Chinas gefährdet ist. Ohne Export kann China seinen Bedarf an Energie - und noch viel wichtiger - an Nahrung, nicht mehr importieren. Und was die Rhetorik der Außenministerin angeht: Von wertegeleitete Außenpolitik reden, bei einer wichtigen Frage wie dem Hamburger Hafen dann aber Einknicken, das passt nicht. Entweder klare Haltung zu klaren Worten, oder gespaltene Zunge. Frau Baerbock muss sich entscheiden.

Das Regime in Peking verantwortet schwerste Menschenrechtsverletzungen: Todesstrafe, Folter, Umerziehungslager und Zensur sind an der Tagesordnung. Hat die Welt in der vagen Hoffnung auf Wandel durch Handel zu lange weggeschaut?

Ich möchte dazu das Beispiel einer Frau schildern. Sie war unschuldig inhaftiert. Zu  Beginn wurde sie kahlgeschoren, in Häftlingsuniform gesteckt. Ihr Name wurde getilgt, sie war dann nur noch eine Nummer - wie wir das aus schlimmsten deutschen Lagern kennen. Ihr wurde, damit sie keine Kinder mehr bekommen kann, unter Zwang die Gebärmutter herausoperiert. Auf meine Frage nach dem Warum sagte sie: „Weil sie zeigen wollen, dass sie mit uns machen können, was sie wollen."
Die Wahrheit in China ist viel schlimmer als berichtet. Das Regime Xi stellt die größte Bedrohung für Freiheit und Frieden weltweit dar. Diese Gefahr verschwindet nicht, wenn wir wegsehen. Wir müssen klug und entschieden handeln, um unsere Freiheit, den Frieden und Wohlstand zu wahren.