Einschnitt in Afghanistan

28.08.2021
Interview

Der Namensbeitrag ist heute in der Fuldaer Zeitung erschienen. 

Michael Brand MdB (47) fordert, Lehren aus dem Afghanistan-Einsatz zu ziehen. Er kritisiert, der Trump-Taliban-Deal habe das Schicksal der afghanischen Zivilbevölkerung besiegelt. Die Bundeswehr habe Ehre eingelegt für unser Land.

Noch einmal sind Soldaten der Bundeswehr in einen extrem gefährlichen Einsatz nach Kabul zurückgekehrt, diesmal zur Rettung von tausenden Menschen vor den Taliban. Der Selbstmordanschlag am Flughafen hat nur unterstrichen, wie sehr Taliban und deren Todfeinde vom IS Menschenleben gering schätzen.

Dem Terror-Angriff auf den freiheitlichen Westen, nach den Anschlägen vom 11. September 2001, mit tausenden zivilen Toten, entschlossen entgegenzutreten, war wichtig. Ohne Entschlossenheit hätte sich der Terror aus Afghanistan auf einen globalen Siegeszug begeben.

Seither war Afghanistan nicht mehr Ausgangspunkt für globalen Terrorismus, zahlreiche Anschläge mit zahllosen Toten weltweit wurden verhindert. Wer die Kämpfe der Taliban im benachbarten Pakistan mit der dortigen Armee und tausenden Toten kennt, der hat eine Vorstellung davon, was ohne den internationalen Einsatz hätte drohen können. Es war nicht nur Osama bin Laden, der von Afghanistan aus Terror in den USA und anderswo planen und ausführen ließ. Afghanistan war kein Land, das man mit Blick auf unsere eigene Sicherheit unbeobachtet lassen durfte. Auch das müssen wir jetzt im Blick behalten, wenn uns die schrecklichen Bilder aus Kabul und anderswo erreichen.

Es war US-Präsident Trump, der ohne Rücksicht auf Verluste im Mai 2020 den Taliban den Abzug der USA für den Mai 2021  zusicherte. Dieser Trump-Taliban-Deal besiegelte das Schicksal der afghanischen Zivilbevölkerung. Präsident Biden stand also vor der Frage, diesen Vertrag zu kündigen - und einen neuen Krieg zu führen. Dafür gibt es weder in den USA noch in Europa, auch nicht in Deutschland, irgendeine Unterstützung. Es gelang lediglich ein Verzögern des Abzugs von Mai auf Ende August. Niemand, nicht einmal die Taliban, konnten den vollständigen Zusammenbruch der afghanischen Truppen innerhalb von nur elf Tagen erwarten. Die Bilder sind schwer erträglich. Natürlich werden wir die Details untersuchen, aufarbeiten, und daraus Lehren ziehen.

Zur Offenheit zählt auch, dass wir über unsere eigene Selbsttäuschung reden müssen. Lebhaft erinnere ich mich daran, wie viel Zustimmung, aber auch Widerspruch es gab, als ich als einer der allerersten im Bundestag in der Debatte zu Afghanistan davon sprach, dass die Bundeswehr sich im Krieg befindet. Viel zu lange haben sich zu viele der Realität verweigert. Die Wahrheit auszusprechen ist immer das wichtigste, um zur richtigen Lageeinschätzung zu kommen. Für Einsätze der Bundeswehr und der NATO müssen wir Afghanistan als Einschnitt sehen. Wir müssen Plus und Minus sehr gründlich studieren und Lektionen lernen.

Es bleibt trotz Rückzug: Wir haben jeden Grund zum Stolz auf unsere Truppe. Sie hat Ehre eingelegt für unser Land, professionell gekämpft, Terror verhindert und zudem für die Menschen in Afghanistan viel an Freiheit ermöglicht. Dass Teile des Bundestages selbst der dramatischen Rettungsaktion ihre Zustimmung verweigert haben, ist nur zynisch. Wir dürfen die Menschen nicht im Stich lassen, vor neuen Gefahren die Augen nicht verschließen.

Für uns ging es darum, Terror aus Afghanistan heraus zu stoppen. 20 Jahre lang ist das gelungen. Für die Zukunft und an anderen Stellen müssen wir wachsam bleiben. Das werden wir.

 

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